Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs (Kijas) setzt sich für die Interessen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein und erlaubt sich wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Allgemeine Bemerkungen:
Die Kijas begrüßt grundsätzlich die geplanten Veränderungen im Bereich des Maßnahmenvollzugs für Jugendliche und junge Erwachsenen. Eine Neuregelung des Maßnahmenvollzugs war bereits seit langer Zeit überfällig, da die bis dato geltenden Reglungen unweigerlich Situationen schaffen, in denen die Kinderrechte vielerseits nicht in vollem Umfang gewährleistet werden bzw. werden können. Unter der Bedachtnahme, dass mit diesem Teilpaket nun der Umsetzungsprozess, welcher ja bereits mit weitreichenden Diskussionen rund um die Reformbedürftigkeit des Maßnahmenvollzuges in Österreich im Jahr 2015 eingeleitet wurde, schlussendlich vorangetrieben wird, ist diese Tatsache, trotz der ua. in dieser Stellungnahme aufgezeigten, notwendigen Überarbeitung, in jedem Fall als positiv zu bewerten.
Eine grundsätzliche Position, die über die allgemeine inhaltliche Kommentierung des Entwurfs hinaus, aus der Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaft weiterhin bestehen bleibt ist, dass der Maßnahmenvollzug als freiheitsentziehende Maßnahme für Personen unter 18 Jahren ganz generell nicht als geeignetes Mittel erscheint. Aus unserer Sicht soll diese Gruppe in keinem Fall im Maßnahmenvollzug untergebracht werden. Vielmehr bedarf es Unterbringungsmöglichkeiten wie beispielsweise betreute (sozialpädagogisch/therapeutisch/sozialpsychiatrisch) Wohneinrichtungen. Diese Herangehensweise, die bereits in einem vorangegangenen Prozess konkret angedacht war, würde die Möglichkeit bieten, konkret auf die Bedürfnisse von Personen unter 18 Jahren einzugehen, wodurch ihre Rechte - insbesondere auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung - besser gefördert und gestärkt werden könnten, als dies durch Einbindung in das Regelsystem des Maßnahmenvollzugs der Fall wäre.
2. Inhaltliche Stellungnahme:
2.1 Einweisungskriterien und Dauer der Unterbringung:
Als positiv hervorzuheben sind die in § 5 Z 6b JGG normierten restriktiveren Einweisungskriterien bei jungen Menschen, durch die das Problem der schwierigen Diagnose von psychiatrischen Erkrankungen bei Jugendlichen erkannt wird. Ebenso hervorzuheben ist die engmaschigere Überprüfung der Notwendigkeit der Maßnahme die in § 17 Abs 2 JGG festgehalten wurde (alle 6 Monate). Es ist mit einem Absinken der Anzahl von eingewiesenen Personen zu rechnen.
Ein Regelungsvorhaben, das jedoch aus unserer Sicht auf großes Unverständnis stößt, ist, dass mit dem vorgeschlagenen § 23 Abs 1a StGB nun auch terroristische Straftaten in den Regelungskomplex des Maßnahmenvollzugs eingebunden werden sollen. Hierbei möchten wir hervorheben, dass es in den – wie oben angemerkt - bereits lang andauernden Diskussionen rund um den Reformprozess, bisher unserem Wissensstand nach keinen Hinweis auf die Notwendigkeit der Implementierung der Delikte §§ 278b bis 278f StGB in die hier angestrengten Änderungen des Maßnahmenvollzugs gegeben hat. Dabei ist das Gebiet der terroristischen Straften aus unserer Sicht als themenfremd zu werten und bereits durch Sicherungsmittel für gefährliche Rückfallstäter in ausreichendem Umfang abgedeckt. Dringend empfohlen wird in Entsprechung der Stellungnahme des Netzwerks Kriminalpolitik[1] zusätzlich auch eine Begrenzung der in § 17b Abs 1 JGG festgelegten maximalen Einweisungsdauer bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf 10 statt 15 Jahren wie im Entwurf vorgeschlagen.
Vorgeschlagene Änderungen zu diesem Bereich sind somit:
• Die nicht-Eingliederung der terroristischen Straftaten in den Regelungskomplex des Maßnahmenvollzugs;
• Begrenzung der maximalen Einweisungsdauer bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf 10 Jahre.
2.2 Zum Verfahren:
Positiv zu bewerten ist die Erweiterung von § 46a JGG bei dem in Abs 3, basierend auf den Überlegungen der RL für Jugendstrafverfahren, die Vernehmungssituation von jungen Erwachsenen neu geregelt werden soll. Wir begrüßen die Herangehensweise, dass es nun auch für diese Gruppe ermöglicht werden soll, dass sie nie alleine einer Vernehmungssituation ausgesetzt sein sollen. Wichtig ist es uns jedoch auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auch hier darauf geachtet werden muss alle notwendigen Informationen in einfacher und verständlicher Sprache zu erteilen, um eine effektive Wahrnehmungsmöglichkeit der Rechte von jungen Erwachsenen sicherzustellen. Hierbei muss auch weiter das Bewusstsein für die schwache und verunsichernde Situation in denen sich Jugendliche und junge Erwachsene in Verfahren befinden, gestärkt werden. Aus diesem Grund möchten wir auch auf die große Bedeutung von spezifischen Schulungen über den Umgang mit Kindern, Jugendlichen und auch jungen Erwachsenen hinweisen. Die Forderung nach derartigen Schulungen für das gesamte Personal der Strafverfolgungsbehörden und Unterbringungseinrichtungen – die sich auch aus Art 20 der RL zu Jugendstrafverfahren ergibt – ist ein zentrales Anliegen auf das wir abermals hinweisen wollen.
Positiv zu bewerten ist der Regelungsvorschlag, dass in die Verfahren ausschließlich Kinder- und Jugendpsychiater:innen als Gutachter:innen involviert werden sollen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die persönliche Entwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch nicht abgeschlossen ist und sie keinesfalls mit erwachsenen Straftätern zu vergleichen sind.
Die KJA weist darauf hin, dass mit der Umsetzung der vorliegenden Novelle aber jedenfalls die notwendigen Ressourcen verbunden sein müssen. Ob die Unterbringung in Krankenanstalten oder im Justizbereich erfolgt, die Institutionen müssen entsprechend ausgestattet sein, va. in Bezug auf Personal (Justizwache, Fachärzt:innen, Thearpeut:innen, Soziale Arbeit etc), aber auch in Bezug auf jugendgerechte Räumlichkeiten.
Im Besonderen muss der massive Mangel an Sachverständigen aus dem Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie betont werden, der sich bereits jetzt in den Verfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz zeigt. Gerade in Bezug auf die Tatsache, dass die Beiziehung von kinder- und jugendpsychatrischen Sachverständigen laut dem vorliegenden Entwurf als eines der Hauptanliegen gewertet ist, besteht unweigerlich der Bedarf, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen diese im Sinne der Kinderrechte positiv zu bewertenden Regelungsvorschläge auch effektiv werden können. Hier braucht es dringend eine Attraktivierung einerseits des Fachs und andererseits der Gutachtertätigkeit.
Vorgeschlagene Änderungen zu diesem Bereich sind somit:
• Vermittlung aller Informationen in einer dem Alter und der Entwicklung angemessenen Art und Weise;
• Spezifische Schulungen über den Umgang mit Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen;
• Dringende (!) finanzielle Ausstattung und Attraktivierung des Tätigkeitsbereiches von kinder- und jugendpsychatrischen Sachverständigen
2.3 Situation während der Unterbringung:
Der generellen Systematik des Entwurfes folgend, soll auch der Vollzug einer Maßnahme nach § 21 StGB betreffend der Sonderbestimmungen für Jugendliche im JGG – in concreto in § 57a JGG – aufgenommen werden. Hierbei soll noch einmal auf die unter Punkt 1 ausgeführte, kritische Haltung gegenüber Unterbringungen im Rahmen des Maßnahmenvollzuges von Personen unter 18 Jahren hingewiesen werden.
Zusätzlich möchten wir, Bezug nehmend auf die Erläuterungen zu § 57a Abs 2 JGG wollen wir folgendes hinterfragen: Einerseits wird aus unserer Sicht nicht klar, welche Parameter für die Beurteilung über das Bestehen eines Nachteils für Jugendliche bei der gemeinsamen Nutzung von Einrichtungen des Strafvollzugs herangezogen werden. Ohne diese zu konkretisieren wird das Feststellen des Nachteils und das Beheben des Problems aus unserer Sicht jedenfalls erschwert. Andererseits stellt sich uns die Frage, welche Struktur geplant ist, um ebendieses nicht-bestehen von Benachteiligungen einheitlich festzustellen. Auch hier wäre aus unserer Sicht eine Klärung erforderlich, um die effektive Umsetzung der geplanten Regelung sicher zu stellen. Des Weiteren sehen wir auch in Bezug auf die in § 57a Abs 3 JGG vorgesehen Entwicklungsanreize Konkretisierungsbedarf, wie diese genau ausgestaltet sein sollen. Hierbei möchten wir darauf verweisen, wie wichtig es ist ein Umfeld zu schaffen in dem die Bedürfnisse der Jugendlichen tatsächlich wahrgenommen und gefördert werden, um ein System zu generieren, das der Jugendkriminalität entgegenwirkt und sachgerechte Reaktionen bereit hält, den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die notwendige Unterstützung zu bieten. Um dies zu gewährleisten, wäre die interdisziplinäre Entwicklung einer systematischen Herangehensweise in Zusammenhang mit den notwendigen Entwicklungsanreizen vorzuschlagen.
Vorgeschlagene Änderungen zu diesem Bereich sind somit:
• Überdenken der Notwendigkeit der Implementierung von Personen unter 18 Jahren in das Regelungskonzept des Maßnahmenvollzugs, inklusive der Wahrnehmung von Überlegungen zu alternativen Unterbringungsmöglichkeiten;
• Konkretisierung der Vorstellungen im Bereich des Vollzugs, mit besonderer Rücksichtnahme auf die gemeinsame Nutzung von Einrichtungen und die Angebote zu Entwicklungsanreizen.
3. Abschließende Bemerkungen
Insgesamt ist der Entwurf zu der Neuregelung des Maßnahmenvollzugsgesetzes auch aus kinderrechtlicher Sicht sicherlich zu begrüßen. Vergessen werden soll dabei jedoch nicht die generelle Problematik des Maßnahmenvollzugs für Personen unter 18, sowie die weiteren Mängel des vorliegenden Entwurfes, die ua. in dieser Stellungnahme aufgezeigt wurden. Des Weiteren ist eine Problemlage besonders augenscheinlich: Die mangelnde finanzielle Ausstattung. Diese ist gerade auch für Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit der effektiven Gewährleistung ihrer Rechte besonders relevant. Denn ohne eine finanzielle Ausstattung, die beispielsweise notwendig ist um ein flächendeckende kinder- und jugendpsychatrische Betreuung zu ermöglichen, werden sich viele aus kinderrechtlicher Sicht zu begrüßenden Verbesserungen die dieser Entwurf beinhaltet, in der tatsächlichen Umsetzung nicht niederschlagen.
Insgesamt ist somit festzustellen, dass eine Überarbeitung des Entwurfs aus der Sicht der Kijas notwendig ist. Wir freuen uns also, wenn Sie unseren Bedenken Gewicht schenken und stehen natürlich jederzeit für weitere Rückfragen zur Verfügung.
Für die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs
DSAin Dunja Gharwal, MA Kinder- und Jugendanwältin | Mag. Ercan Nik Nafs Kinder- und Jugendanwalt |