Jedes Jahr zu Jahresbeginn veröffentlicht die Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) Salzburg ihre Beratungszahlen. 2017 wandten sich 2.471 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 21 Jahre via Telefon, mail, WhatsApp, facebook oder persönlich mit ihren Sorgen an die kija Salzburg. Der Erstkontakt entsteht oft im Anschluss an einen Kinderrechte-Workshop in den Schulklassen. 2017 fanden 167 dieser kostenlosen Workshops statt, dabei konnten mehr als 4.500 SchülerInnen im gesamten Bundesland Salzburg erreicht werden.
Die Bandbreite der Fragen, mit denen die Kinder und Jugendlichen zur kija Salzburg kamen, reichte dabei von Perspektivenlosigkeit bis hin zu Mobbing und schulischem Leistungsdruck. Mit 55 Prozent liegt der Anteil der Buben bei der Beratung deutlich über dem der Mädchen. Eine mögliche Erklärung: Während die Geschlechterverteilung bei den Volksschulkindern noch ausgeglichen ist, fallen in der Altersgruppe der Elf- bis 14-Jährigen die Buben - ganz den Rollenklischees entsprechend - durch "störendes, aggressives oder hyperaktives" Verhalten schneller auf.
Gegen Mobbing hilft kein Einzelworkshop
Ein trauriger Dauerbrenner ist und bleibt das Thema Mobbing. Mehr als 500 Kinder und Jugendliche waren es, die im abgelaufenen Jahr deshalb die kija Salzburg kontaktierten. Der Leidensdruck der SchülerInnen in den Schulklassen und den sozialen Netzen ist nach wie vor eines der gravierendsten Probleme. Die Auswirkungen reichen von körperlichen Symptomen bis zu Suizidversuchen. Zwar reagieren mittlerweile viele PädagogInnen auf Mobbing und holen Hilfe von ExpertInnen, doch der Schulalltag wird durch Leistungsüberprüfungen, Tests und Normierungen bestimmt. Die langfristige gemeinschaftsbildende Arbeit mit der Klasse kommt dabei häufig zu kurz. Auch das gesamtgesellschaftliche Klima scheint Ausgrenzung zu begünstigen. Es herrscht wenig Toleranz gegenüber SchülerInnen, die in irgendeiner Form abweichen. Die jungen Leute sollen ihre Rolle als zukünftige Leistungsträger annehmen. Wer das (noch) nicht kann, dem bleibt im System wenig Spielraum.
Entwicklung braucht Raum zum Ausprobieren
Der Raum zur Reibung und Persönlichkeitsentwicklung schrumpft aber nicht nur in der Schule, sondern auch außerhalb. Anstatt auffallendes Verhalten als Ausdruck tieferliegender Nöte zu erkennen, wird es allzu oft dem „Störenfried“ überlassen, das Problem rasch in den Griff zu bekommen. Gelingt das nicht, wird sogar ein Schul- oder Wohnortswechsel als bequeme Lösung empfohlen. Immer wieder landen auch Jugendliche, von einem Erwachsenen geschickt, bei der Beratung oder in Therapie. Dort stellt man dann fest, dass die Jugendlichen altersgemäß ihre Grenzen austesten. Doch anstatt mit einer Auseinandersetzung auf Beziehungsebene regnet es schon wegen Kleinigkeiten Anzeigen. Mit Verboten und strikten Regeln macht man es sich zwar kurzfristig leicht, langfristig besteht aber die Gefahr, dass auch die Jugendlichen autoritäre Muster zur Konfliktbewältigung übernehmen.
Kindgerechte Interventionen statt Härte des Gesetzes
Die Elf- bis 14-Jährigen sind die am stärksten vertretene Gruppe in der kija Salzburg. Unter ihnen sind der kija Salzburg besonders männliche Jugendliche aufgefallen, deren Lebensläufe einander gleichen. Meist haben sie mit zwölf Jahren schon mehrere Schulwechsel oder Schulabbrüche hinter sich, das Elternhaus ist zerrüttet, die familiäre finanzielle Situation angespannt und sie sind schon früh mit kleineren Straftaten aufgefallen. Spätestens jetzt sollten Hilfsmaßnahmen oder mit der Tat in Verbindung stehende Sanktionen gesetzt werden. Eine Familienberatung kann genauso sinnvoll sein wie ein Antigewalttraining oder eine Therapie. Stattdessen wird sehenden Auges abgewartet, bis die Jugendlichen strafmündig sind. Dann jedoch wird hart durchgegriffen. Im Vorjahr sind einige besonders drastische Urteile gesprochen worden, darunter mehrjährige Haftstrafen aus generalpräventiven Gründen. Die Erfahrung der kija Salzburg, die als externe Vertrauensperson Jugendliche in Haft regelmäßig besucht, zeigt, dass der Ausbau der Diversion verbunden mit einer begleitenden vertrauensvollen Beziehung viel zielführender wäre. Dadurch können Jugendliche Empathiefähigkeit für das Opfer entwickeln, sich mit eigenen Traumata auseinandersetzen und veränderte Verhaltensformen erlernen.
Armut gefährdet Bildungschancen
Auf der anderen Seite gibt es viele Jugendliche, die sehr hart dafür arbeiten, eine gute Schulbildung zu erhalten, die jedoch an Kostenbeiträgen und bürokratischen Hürden scheitern:
- Junge Erwachsene erhalten keine finanzielle Unterstützung (Mindestsicherung), wenn sie nach ihrem 18. Geburtstag eine höhere Schulausbildung oder Lehre beginnen und so einen Bildungsabschluss nachholen wollen. Faktisch werden sie dazu gezwungen, niederqualifizierte Jobs anzunehmen. Besonders junge Menschen, die wenig familiären Rückhalt haben und ihre Ausbildung nicht in der Regelzeit abschließen konnten, haben so verschlechterte Zukunftschancen.
- Obwohl Schulbildung in Österreich grundsätzlich gratis ist, werden an vielen höheren Schulen nicht unerhebliche Kostenbeiträge eingehoben. Dies gilt z. B. für die HTL, wo Kinder aus armutsgefährdeten Familien die Kosten für den Werkzeugkoffer nicht aufbringen können und in Folge ihre Ausbildung abbrechen müssen.
- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind während des Asylverfahrens von der SchülerInnenfreifahrt ausgeschlossen. Auch das führt trotz Lernerfolgs zu Schulabbrüchen, z. B. durch die Verlegung in ein Quartier in einem anderen Ort. Auch die Kosten für Deutschkurse und Prüfungen sind schwer aufzubringen.
Die Härte und soziale Irrationalität, die bei jungen Menschen am Rand unserer Leistungsgesellschaft bisweilen an den Tag gelegt werden, können manchmal durch die Unterstützung von SpenderInnen abgefedert werden. So konnten durch den „Fonds Alpine Peace Crossing“ und den „Verein zur Förderung der Kinderrechte“ im letzten Jahr rund 30 Jugendlichen mit ähnlichen Problemen wie oben angeführt geholfen werden.
Mit dem Jahresschwerpunkt „Existenzsicherung und Bildung für alle bis 21“ setzen wir uns 2018 verstärkt für die wachsende Gruppe Jugendlicher, die durch Perspektivenlosigkeit oder Leistungsdruck an den gesellschaftlichen Rand geraten1, ein und drängen auf Rechtssicherheit. Ihre Chance auf einen geglückten Lebensentwurf darf nicht dem Zufall überlassen bleiben!
Jedes Kind ist gleich an Rechten und Würde geboren
Aktuell ist durch die verstärkte Abschiebung in Kriegsgebiete eine neue Dimension an Kinderrechtsverletzungen erreicht. Die kija Salzburg fordert, dass ALLE Rechte für ALLE Kinder gelten! Das Kindeswohl ist bei allen Maßnahmen, sei es bei der Gesetzgebung oder im Vollzug, vorrangig zu berücksichtigen. Das gilt im Besonderen auch für (kriegs-)traumatisierte Kinder und Jugendliche.
Jedes einzelne Kind, unabhängig von seiner sozialen oder geographischen Herkunft, muss mit seinen individuellen Bedürfnissen wahrgenommen und entsprechend gefördert und unterstützt werden!
1 Auch eine Studie des IWF belegt, dass die Schere zwischen Arm und Reich seit der Krise auseinanderklafft.