Bund darf Kompetenz im Kinderschutz nicht abgeben!

Gleiche Rechte & effektiver Schutz für alle jungen Menschen in Österreich!

Stellungnahme der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs zum Ministerialentwurf betreffend Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Übergangsgesetz vom 1. Oktober 1920, in der Fassung des BGBl. Nr. 368 vom Jahre 1925, das Bundesverfassungsgesetz betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien und das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz geändert werden („Kompetenz- und Strukturbereinigungsgesetz“)

Die Intention der Bundesregierung, mit dem geplanten Bundesverfassungsgesetz eine Entflechtung der Kompetenzverteilung zu erreichen, wird grundsätzlich begrüßt. Allerdings wird die vorgeschlagene Kompetenzänderung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, die Grundsatzgesetzgebung des Bundes gem. Art. 12 Abs.1 Z 1 B-VG hinsichtlich der „Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ vollständig auf die Länder zu übertragen, aus kinderrechtlicher Sicht mit folgender Begründung abgelehnt.

1. Formale Aspekte - Fehlen einer wirkungsorientierten Folgenabschätzung

Ganz abgesehen von den nicht mehr zeitgemäßen Begrifflichkeiten („Jugendfürsorge“), wurde im vorliegenden Gesetzesentwurf in der (vereinfachten!) Folgenabschätzung in keiner Weise die Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen geprüft. Durch die Ratifikation der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) hat sich Österreich sowohl zu einer umfassenden Umsetzung (Art. 4 KRK) als auch in Verbindung mit dem Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip (Art. 3/1 KRK) zu einer kinderrechtsorientierten Folgenabschätzung sämtlicher staatlicher Maßnahmen, also auch geplanter gesetzlicher Maßnahmen, verpflichtet. Verfestigt wurde dieser Grundsatz in Art. 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, wonach Österreich das Kindeswohl als Maxime sämtlicher Kinder betreffender Handlungen vorrangig berücksichtigen muss.  Der UN-Kinderrechteausschuss hat wiederholt betont, dass die Verpflichtung, eine kinderrechtsorientierte Folgenabschätzung durchzuführen, frühestmöglich in jeglichem Gesetzgebungsprozess vorzusehen ist.  Das bedeutet, dass derart weitreichende kompetenzrechtliche Änderungen jedenfalls einer umfassenden Kindeswohlprüfung bzw. kinderrechtsorientierten Folgenabschätzung bedürfen.

2. Inhaltliche Aspekte - Verstärkung der Unterschiede

Schon jetzt werden von allen Berufsgruppen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe die bestehenden länderspezifischen Unterschiede bezüglich der Angebote, Leistungen und Praxen als eines der gravierendsten Probleme gesehen, wie u. a. im aktuellen Sonderbericht „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“ der Volksanwaltschaft und der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs oder im Gutachten von Univ. Professor Weber kritisiert. Zum wiederholten Mal (2005 und 2012) forderte auch der UN-Kinderrechtsausschuss, dass Österreich die Aufsicht im Bereich der Fremdunterbringung sowie Qualitätsstandards für Pflege und Unterbringung noch stärker bundesgesetzlich regeln solle und empfahl Nachbesserungen in diesem Bereich. Bundesweite Standards und Vorgaben hinsichtlich Qualifikation der Fachkräfte, Betreuungsschlüssel, Gruppengröße, Partizipation, Beginn und Verlängerung von Maßnahmen nach dem 18. Lebensjahr oder der Verfügbarkeit einer kinderanwaltlichen Vertrauensperson sind daher zentrale Forderungen. Fehlendes Monitoring und dürftige wissenschaftliche Forschungs- und Datenlage wurden ebenfalls vom UN-Kinderrechtsausschuss bemängelt.

Die geplante Streichung des einheitlichen gesetzlichen Rahmens widerspricht fundamentalen Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, wie etwa dem Gleichheitsgebot, und den jahrelangen Bemühungen um Harmonisierung von Leistungsangeboten für einen bestmöglichen und einheitlichen Kinderschutz bzw. eine einheitliche Unterstützung junger Menschen und ihrer Familien, zur Vermeidung von Fremdunterbringung bzw. zur bestmöglichen Betreuung in einer öffentlichen Einrichtung oder Pflegefamilie.

3.  Bundesgesetzliche Garantien für unabhängige Kinder- und Jugendanwaltschaften

Österreich war mit der Einrichtung der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs (KIJAS) vor über 25 Jahren international federführend in der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Die KIJAS leisten als unabhängige Interessensvertretung für junge Menschen anerkannt wichtige Beiträge in vielen Bereichen der Kinderrechte. Schon jetzt gibt es Unterschiede bezüglich einiger konkreter Rechte (z.B. Akteneinsicht) oder konkreter Aufgaben (kinderanwaltliche Vertrauensperson für fremduntergebrachte Kinder) oder der Zuständigkeit für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen bis 21 Jahre. Hier gäbe es noch weitere Optimierungsmöglichkeiten. Es wäre ein enormer Rückschritt in der Umsetzung dieses völkerrechtlichen Vertrags, wenn die geplante Änderung kommen sollte und damit der Spielraum der einzelnen Länder, ob und wie eine KIJA eingerichtet/ausgestattet werde, noch größer würde.

Österreich hat sich 1992 verpflichtet, die UN-KRK umzusetzen - nicht die Bundesländer! Um die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Kinder- und Jugendanwaltschaften zu sichern, ist es unumgänglich, diese in einem Bundesgesetz, bzw. noch besser bundesverfassungsgesetzlich, zu regeln, um dann die einzelnen Länder in der Umsetzung zu binden.

4. Rechts(un)sicherheit im Kinderschutz

Auch wenn die Mitteilungspflichten bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (§ 37 B-KJHG) als unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht weiter anwendbar bleiben, ist beim Wegfall der Bundeskompetenz mit einer großen Rechtsunsicherheit zu rechnen. Sind Rechtkenntnis und Handlungssicherheit schon jetzt nicht bei allen in diesem Bereich tätigen Berufsgruppen ausreichend vorhanden, sind bei Aufsplitterung in diverse berufsrechtliche Vorschriften weitere Unsicherheiten bzw. Abstriche im Kinderschutz zu befürchten.  

5. Unpassender Zeitpunkt

Auch der Zeitpunkt des Gesetzesentwurfs ist für alle damit befassten Berufsgruppen nicht nachvollziehbar. Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 wurde eine umfassende Evaluation des selbigen beschlossen. Im Herbst 2018 soll dieser ExpertInnen-Bericht zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe vorliegen.

In diesem Zusammenhang ist auf die kürzlich veröffentlichte Bilanz der Bundesregierung im aktuellen Staatenbericht zum UN-Übereinkommen über die Rechte von Kindern hinzuweisen. Darin werden die Harmonisierungserfolge, die im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe erreicht werden konnten, als positive Auswirkung der bundesweiten Grundsatzgesetzgebung mit seinen Mindeststandards beschrieben.
Aufgrund dieser sichtbaren Ergebnisse ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Evaluierungsergebnisse des B-KJHG völlig außer Acht gelassen wurden!

Zusammenfassung

Ziel sollte eine wissensbasierte Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe und ihrer Angebote sein: Sei es durch den Ausbau präventiver Maßnahmen zur Förderung der Eltern-Kind-Beziehung oder zur Gewaltprävention, durch die Entwicklung individueller, an den Bedürfnissen der Kinder orientierter, Hilfsangebote, durch Rechtsanspruch auf Weiterbetreuung und Nachsorge für junge Erwachsene (care leaver) nach dem 18. Lebensjahr, durch die Stärkung von Partizipationsrechten oder durch neue Formen der Kooperation mit den SystempartnerInnen aus dem Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialsystem. Dafür braucht es eine starke bundesweite Steuerung!

Die Kinder- und JugendanwältInnen aller Bundesländer sind äußerst besorgt, dass sich künftig die jeweiligen Mindeststandards in den Bundesländern auf Grund unterschiedlicher finanzieller und personeller Ressourcen noch mehr unterscheiden und ein einheitlicher Vollzug (Harmonisierung) in noch weitere Ferne rücken könnte(n). Das jahrelange Ringen um eine Vereinheitlichung des Jugendschutzes hat deutlich gezeigt, wie schwierig es ist, dass sich neun Bundesländer nachträglich auf eine einheitliche Bestimmung einigen.

Wie in den erläuternden Bemerkungen zum Ministerialentwurf vorgeschlagen, soll über manche verbleibenden Kompetenztatbestände, über die noch keine Einigung zu erzielen war, erst nach Diskussion in einer politischen Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine Lösung gefunden werden. Wir ersuchen dringend, gerade in diesem hochsensiblen Bereich ebenfalls keine übereilte Kompetenzänderung vorzunehmen.

Wir empfehlen vor einer Beschlussfassung die Durchführung einer ExpertInnen-Enquete unter Einbeziehung der Evaluationsergebnisse zum B-KJHG 2013 und stehen mit unserer Expertise für weitere Gespräche gerne zur Verfügung.