***Stellungnahmen Einzelansicht***

Stellungnahme zum Entwurf des Bundesgesetzes über die Impflicht gegen Covid-19

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs, als gesetzliche Interessensvertretungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, nehmen wie folgt aus kinderrechtlicher Sicht Stellung zu dem gegenständlichen Entwurf des Bundesgesetzes über die Impfpflicht gegen Covid-19.

 


AD §1 ABS. 2 COVID-19-IG:

Eine erste grundsätzliche Anmerkung betrifft die Herangehensweise bezüglich der getroffenen Abwägungsentscheidungen, die sich in den Materialien zu dem Gesetzesentwurf wiederfinden lässt. Hierbei wird die grundrechtliche Abwägung primär anhand des Art. 8 EMRK durchgeführt [1] und auch auf verständliche Weise aufgezeigt, dass eine verhältnismäßig ausgestaltete Impfpflicht grundrechtskonform ist. Was jedoch ausgespart bleibt, ist die spezielle Betrachtung der Kinder und Jugendlichen, die im Sinne des Art. 1 BVG Kinderrechte auch auf verfassungsrechtlicher Ebene notwendig ist, da diese Bestimmung bei allen Maßnahmen privater und öffentlicher Einrichtungen, die Kinder betreffen, vorrangig berücksichtigt werden muss.[2] Darunter fällt auch das gesetzgeberische Tätigwerden.[3] Die genaue Betrachtung dieser zentralen kinderrechtlichen Norm, die ebenso in Art. 24 GRC und Art. 3 KRK zu finden ist,[4] ermöglicht es, treffsichere Regelungen für die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen fassen zu können. Diese Treffsicherheit ist – unbenommen der allgemeinen Abwägungsentscheidung – in Bezug auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen aus unserer Sicht im vorliegenden Entwurf noch nicht zur Gänze gegeben.

Bei der Berücksichtigung des Kindeswohls, so wie es in Art. 1 BVG Kinderrechte verankert ist, bedarf es einer spezifischen kinderrechtlichen Betrachtung, welche Maßnahmen dem Wohl dieser Gruppe entsprechen. Natürlich ist nicht abzustreiten, dass Art. 8 EMRK die Gedanken des Kindeswohls bereits in seiner Abwägung implizit verankert hat. Dennoch ist die konkret für die grundrechtliche Absicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen geschaffene Regelungen in Art. 1 BVG Kinderrechte als Erweiterung zu Art. 8 EMRK zu sehen.[5] In Anwendung des Art. 1 BVG Kinderrechte und des ihm immanenten Kindeswohlvorrangigkeitsprinzips, ist aus kinderrechtlicher Sicht auf die Regelungen der Kinderrechtskonvention Bezug zu nehmen. Hierbei normiert der Art. 24 KRK Gesundheit als einen „Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“. Im Lichte dieser Bestimmung ist ausdrücklich auf die zu erwartenden psychischen Folgen einer generellen Impfverpflichtung für die Altersgruppe von 14 Jahren bis 18 Jahren hinzuweisen.

Es wurden in den letzten Monaten zahlreiche Studien zu den psychischen Folgen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen publiziert, die alle zu dem gleichen Schluss kommen, dass Kinder und Jugendliche durch die Pandemie psychisch außerordentlich hoch belastet waren und sind. In diesem Zusammenhang darf auf die aktuelle und äußerst alarmierende Studie der Donau Universität Krems hingewiesen werden, in der die Studienautoren von besorgniserregenden Zuständen berichten: „Im Zeitraum Oktober bis November 2021 wurden rund 1500 Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 20 Jahren österreichweit untersucht. Die Häufigkeit depressiver Symptome, Angstsymptome aber auch Schlafstörungen haben sich mittlerweile verfünf- bis verzehnfacht. Bei 62 Prozent der Mädchen und bei 38 Prozent der Burschen zeigte sich eine zumindest mittelgradige depressive Symptomatik. Rund ein Fünftel der Mädchen und 14 Prozent der Burschen leiden unter wiederkehrenden suizidalen Gedanken, das heißt sie denken entweder täglich oder an mehr als der Hälfte der Tage an Selbstmord“, so Studienautor Univ.-Prof. Dr. Christoph Pieh.[6]

Ein gesetzlicher Impfzwang für Jugendliche birgt insbesondere im Lichte der bis dato schon sehr hohen psychischen Belastung ein enormes Risiko, diese zu verschärfen und damit unabsehbare Folgen für die Zukunft dieser Altersgruppe zu riskieren. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass Jugendliche in dieser Altersgruppe durch die geplante Maßnahme noch größerem familiären, sozialen, schulischen, sowie gesellschaftlichen Druck ausgesetzt werden, welcher sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken könnte. Die latente Unterversorgung der psychotherapeutischen Kassenplätze verschärft diese Situation zusätzlich. Dies betrifft auch die Jugendlichen ab 14 Jahren. Aus rechtlicher Sicht, können sie zwar selbst in die Impfung einwilligen und bedürfen in diesem Zusammenhang keiner Zustimmung der erziehungsberechtigten Personen,[7] dennoch zeigt sich auch aus unserer praktischen Erfahrung, dass aufgrund des bereits beschriebenen innerfamiliären und sozialen Drucks, dem sie konstant unterliegen, nicht von einem freien Zugang zur Impfung gesprochen werden kann. Das wird dadurch gestärkt, dass es bis dato noch keine groß durchgeführte Informationskampagne gegeben hat, die sich speziell an Kinder und Jugendliche gerichtet hat, um ihnen die Bedeutung der Impfung im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus zu erklären. Gerade dies sehen wir unter dem in Art. 4 BVG Kinderrechte ebenso verfassungsgesetzlich verankerten

Rechts auf Partizipation, dem auch ein Recht auf kindgerechte Information immanent ist, als noch unzureichend erfüllt an. Auch diese grundrechtliche Norm geht in ihrem Anwendungsbereich über Art. 8 EMRK hinaus und beinhaltet die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche entsprechend ihres Reifegrades zu beteiligen – insbesondere in jenen gesellschaftsrelevanten Bereichen, die diese Gruppe (mit-)betreffenden.[8] Vor diesem Hintergrund plädieren die Kinder- und Jugendanwaltschaften nachdrücklich für wissenschaftliche, evidenz-basierte Maßnahmen, denen eine umfangreiche Nutzen-Schaden-Analyse vorausgeht, so wie für eine umfangreiche und niederschwellige Informationskampagne, die zielgerichtet und in verständlicher Sprache auf Kinder und Jugendliche ausgelegt ist.

Es wird daher dringend empfohlen den gesetzlichen Impfzwang für die Altersgruppe von 14 Jahren bis 18 Jahren, zumindest zeitlich aufzuschieben und zu einem später zu definierenden Zeitpunkt aufgrund wissenschaftlicher Evidenz zu prüfen, ob es medizinisch tatsächlich notwendig ist, eine Altersgruppe, die in Relation 3,8 % (ca. 344.000 Kinder und Jugendliche)[9] der Gesamtbevölkerung Österreichs ausmacht, einem gesetzlichen Impfzwang zu unterwerfen.[10]

AD §8 COVID-19-IG:

Zudem sprechen sich die Kinder- und Jugendanwaltschaften vehement gegen den geplanten Sanktionsmechanismus im COVID-19 IG aus. Die Strafbestimmung des § 8 COVID-19 IG verfehlt aus unserer Sicht bei der Altersgruppe von 14 Jahren bis 18 Jahren das Ziel der General- bzw. Spezialprävention, da in der überwiegenden Praxis die Geldstrafe von den Erziehungsberechtigten bezahlt wird. Auch das wird zu zusätzlichen Druck- und Schuldgefühlen bei den Jugendlichen führen. Zudem werden Kinder- und Jugendliche aus sozial-benachteiligten Familien zusätzlich mit finanziellem Druck konfrontiert, der auch die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten aufgrund einer voraussehbaren finanziellen Schieflage negativ beeinflussen wird, sollten die Erziehungsberechtigten die Strafe nicht begleichen (können).

An dieser Stelle darf auf die nachhaltige und positive Wirkung von Informationsgesprächen hingewiesen werden. Ein solches Informationsgespräch wird als zielführender und bewusstseinsbildender als eine monetäre Bestrafung angesehen, vor allem vor dem Grundgedanken der Einbindung von Kindern und Jugendlichen in Aufklärungs- und Entscheidungsprozesse.

Grundsätzlich sprechen sich die Kinder- und Jugendanwaltschaften ausdrücklich dafür aus, dass Kindern und Jugendlichen keine nachteiligen Konsequenzen durch Nichtimpfung im öffentlichen Leben erwachsen dürfen, um so die Wahrung ihrer Interessen und die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sicherzustellen.

ZUSAMMENFASSUNG:

Es ist evident, dass Kinder und Jugendliche die größten und meisten Opfer aller Gesellschaftsschichten während der COVID-19 Pandemie bringen mussten und gleichzeitig jegliche Maßnahmen und Einschränkungen vorbildhaft mitgetragen haben. Nun ist es an der Zeit, diese, besonders schutzwürdige Bevölkerungsgruppe nachhaltig zu schützen und auf ihre Interessen und Bedürfnisse bestmöglich einzugehen.

Insofern möchten wir insbesondere dazu anregen:

  • das in Art. 1 BVG Kinderrechte normierte Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip stärker in der dem Gesetz zu Grunde liegenden Abwägungsentscheidung zu verankern und die in diesem Dokument aufgezeigten Überlegungen in diese Entscheidungen miteinzubeziehen;
  •  einen verstärkten Fokus auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu richten;
  •  im Sinne von Art. 4 iVm Art. 1 BVG Kinderrechte als gelinderes Mittel zur Einführung der Impfpflicht ab dem 14. Lebensjahr, eine verstärkte und zielgerichtete Informationskampagne für die Notwendigkeit der Impfung bei dieser Altersgruppe durchzuführen;
  •  in eventu - für den Fall, dass an einer Impfpflicht für Minderjährige dennoch festgehalten werden sollte - die in § 8 COVID-19-IG geplanten Sanktionsmechanismen wie oben angeführt aus kinderrechtlicher Sicht anzupassen.

Die österreichische Bundesregierung im Allgemeinen und das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz im Besonderen, werden daher ersucht, diese Anregungen zur Wahrung des Kindeswohls zu berücksichtigen.

[1] Siehe die Ausführungen in dem allgemeinen Teil der Erläuterungen zum COVID-19 Impfpflichtgesetz.
[2] Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl. I Nr. 4/2011, Art. 1.
[3] VfSlg 19.941/2014, 20.108/2015, 20.297/2018; siehe auch Grabenwarter/Frank, B-VG Art. 1 BVG Kinderrechte.
[4] ErlRV 413 BlgNR 18. GP, 26.
[5] Lais/Schön, Das Kindeswohl in der Rechtsprechung von VfGH und VwGH, RZ 2021, 211; Grabenwarter, Zur Frage der Integration der Garantien der Kinderrechtekonvention in das österreichische Bundesverfassungsrecht in Berka/Grabenwarter/Weber, Studie zur Kinderrechtskonvention und ihrer Umsetzung in Österreich, BMFJ Wien, 2014, S 39ff; EGMR 21.9.2017, Bsw 53.661/15 (Fünfte Kammer), NLMR 2017, S 529ff.
[6] Rachel Dale, Dr. Andrea Jesser, Teresa O´Rourke, Thomas Probst, Elke Humer, Christoph Pieh, Mental health burden of high school students 1.5 years after the be-ginning of the COVID-19 pandemic in Austria
[7] Steindl/Schubert, Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Minderjährigen, iFamZ Oktober 2021, 259ff.
[8] Grabenwarter/Frank, B-VG Art. 4 BVG Kinderrechte.
[9] Bevölkerung nach Alter und Geschlecht (statistik.at)
[10] Siehe auch die Ausführungen zu § 1 im besonderen Teil der Erläuterungen zum Covid-19 IG, die von einer überwiegenden Anzahl an milden Verläufen für Kinder und Jugendliche ausgeht.

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