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Kinder getrennter Eltern

Positionspapier der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs.

Patchworkfamilie

Jährlich sind in Österreich ca. 22.000 Kinder und Jugendliche von der Scheidung ihrer Eltern betroffen, nicht in die Statistik miteinbezogen sind dabei jene Kinder und Jugendliche, deren Eltern unverheiratet waren. Im günstigsten Fall gelingt es den Eltern, trotz Trennung weiter gemeinsam die Verantwortung für die Kinder zu tragen. Bisweilen sitzen die Zerwürfnisse jedoch so tief, dass über Obsorge, Besuchsrecht und Unterhalt der „Trennungskrieg“ weitergeführt wird und Kinder von ihren Eltern im Kampf gegen den jeweils anderen Elternteil missbraucht werden. Dies bedeutet für die Kinder oft den Verlust eines Elternteils.

Recht auf beide Eltern

Nicht die Eltern haben jedoch ein Recht auf „ihr Kind“, sondern Kinder haben ein Recht auf beide Elternteile, da die Möglichkeit zu regelmäßigem Kontakt grundlegend für die kindliche Entwicklung ist. Im gerichtlichen Verfahren zeigen sich dabei immer wieder die Unzulänglichkeit des behördlichen Umgangs mit Obsorge- und Besuchsstreitigkeiten, da die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt stellen, sondern falsch verstandenen Elternrechten entsprechen.

Zielsetzung der KIJAs

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften als weisungsfreie Einrichtungen der Länder haben keinerlei Rechte in Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren bei Gericht, keine Einflussnahme als eine Art „Oberinstanz“, keine Entscheidungsbefugnis und keine Rechtmittellegitimation. Der Begriff „Anwalt“ führt hier immer wieder zu falschen Erwartungen. Unsere Vorgangsweise im Einzelfall ist grundsätzlich beratend und vermittelnd, weder parteiergreifend für Vater oder Mutter, sonder eine rein parteiliche für die von der Konfliktsituation betroffenen Kinder und Jugendliche. Leider kommen Elternteile oft erst dann, wenn schon sehr viel passiert ist. Die Erwartungshaltung ist groß und zumeist darauf gerichtet, Unterstützung für den jeweils eigenen Standpunkt zu erhalten. Es muss daher immer wieder aufgezeigt werden, dass Kinder eigene Wünsche und Bedürfnisse haben, die nicht ident sind mit denjenigen der Erwachsenen. Wir wollen den Blick der Eltern auf diese zentralen Bedürfnisse ihres Kindes lenken, welches im Zentrum unseres Handelns steht.

Die Sorgen der Kinder

Verallgemeinernd lassen sich die Wünsche von Kindern in Zusammenhang mit Trennung und Scheidung folgendermaßen zusammenfassen:

Kinder haben (das Bedürfnis und) das Recht auf:

  • stabile, dauerhafte und verlässliche Beziehungen;
  • unbelastete Beziehung zum jeweils anderen Elternteil;
  • keine Stressbelastung durch Dauerstreit der Eltern;
  • liebevollen Kontakt und Umgang;
  • sicheren Rahmen und Geborgenheit;
  • Einhaltung der Vereinbarungen;
  • Klarheit über die Zukunft;
  • kindgerechtes Miteinbezogen werden;
  • Ernst genommen werden in den Ängsten und Nöten.

Erst wenn Eltern diese Bedürfnisse erkannt haben, können dauerhaft befriedigende Lösungen für das sich neu bildende Gefüge entstehen. Deshalb sind primär alle Maßnahmen zur Stärkung der Elternkompetenz und – verantwortung , und zwar durch möglichst kostenlose und flächendeckende Beratungs- und Bildungsangebote, zu fördern.

Forderungen

„Außergerichtlicher Familienausgleich“

Parallel bzw. verpflichtend im Vorfeld zum gerichtlichen Verfahren sollten Strukturen überlegt werden, die analog zum Außergerichtlichen Tatausgleich in einem geregelten Verfahren - einerseits mit staatlicher Autorität, andrerseits mit geeigneten Methoden - zur Stärkung der Selbstverantwortung der Eltern beitragen. Eine Art „Außergerichtlicher Familienausgleich“ („AFA“) tut not. Sollten diese – in jedem Scheidungs-, Obsorge- und Besuchrechtsverfahren verpflichtenden - Familiengespräche mit geeigneten MediatorInnen-Teams unter zumindest fallweiser Einbeziehung der „VerfahrensbegleiterIn“ (aber ansonsten ohne Teilnahmen von RechtsanwältInnen!) scheitern, werden die wesentlichen Gründe dem Gericht dargelegt und fließen in die Entscheidung mit ein.

  • Wir regen dazu Pilotprojekte in den einzelnen Bundesländern an.

VerfahrensbegleiterInnen

Unabhängig vom Zustimmungsrecht des obsorgeberechtigten Elternteils sollten Kinder spätestens zum Zeitpunkt des Scheiterns von „AFA“ eine VerfahrensbegleiterIn im Pflegschaftsverfahren erhalten. Diese psychosoziale und juristische Verfahrensbegleitung (entweder eine Person oder wie in England zwei Personen im sog. „Tandem-Modell“) muss gesetzlich verankert und mit entsprechenden Rechten ausgestattet sein. Die Aufgaben sind, als Vertrauensperson des Kindes seine Bedürfnisse - auch versteckte Signale - wahrzunehmen, sein Umfeld und seine Lebensumstände zu kennen, als eine Art DolmetscherIn dem Bezugssystem diese Bedürfnisse rückzukoppeln, Kontakt zu Jugendamt, Gericht und sonstigen involvierten Stellen zu halten, auf eine Verfahrensbeschleunigung zu achten, es zu sämtlichen Terminen im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren zu begleiten, erforderlichenfalls eine/n Anwalt/anwältin beiziehen, um Rechtsmittel einzulegen etc. Keinesfalls handelt es sich bei dieser Tätigkeit um eine punktuelle Handlung, sondern eine am Prozess orientierte Begleitung. Die Aufgaben, persönlichen Voraussetzungen sowie Ausbildungsrichtlinien sind detailliert festzulegen. Die Erfahrungen aus unserem Nachbarland Deutschland sind dabei zu berücksichtigen.

  • Wir regen dazu Pilotprojekte in Kooperation mit den Kinder- und Jugendanwaltschaften in den einzelnen Bundesländern an. Entsprechende bestpractice Modelle sollen auf einer Tagung der KIJAs im Herbst 2004 vorgestellt, diskutiert und auf österreichische Verhältnisse adaptiert werden.

Besuchsbegleitung

Mit der gesetzlichen Einführung der Besuchsbegleitung 2001 wurde die Grundlage für Besuchsbegleitung geschaffen. Leider wurde jedoch verabsäumt eine Regelung über Zuständigkeit und Kostentragung zu treffen. Dadurch kam diese an sich zu begrüßende Hilfestellung bis jetzt nur sehr eingeschränkt zur Anwendung. Damit Kinder zusätzlich zu den Belastungen, die mit einer Trennung verbunden sind, ein möglichst störungsfreier Kontakt zu beiden Elternteilen erhalten bleibt, soll Besuchsbegleitung flächendeckend und bedarfsorientiert angeboten werden. Einheitliche Standards, Zugangsvoraussetzungen und Tarife sind zu entwickeln. Eventuell kann derselbe Personenkreis auch als VerfahrensbegleiterInnen herangezogen werden, da diese als Vertrauenspersonen sowohl bereits dem Kind bekannt als auch mit der Familiendynamik vertraut sind.

Verfahrensverkürzung

Der Faktor Zeit spielt in der kindlichen Erlebenswelt eine große Rolle. Verfahren, die aufgrund von Rechtsmitteln, Instanzenzug, diversen Gutachten etc. jahrelang dauern, sind aus der Perspektive der Kinder sehr nachteilig. Kinder haben das Bedürfnis nach Sicherheit und verlässlichen Beziehungen. Entscheidungen sollten nicht erst nach jahrelanger Ungewissheit durch offene Verfahren feststehen. Es sind daher neben einem allenfalls verkürzten Instanzenzug zeitlich festgelegte Fristen und Zeitrahmen, innerhalb derer die Verfahren abgeschlossen werden müssen, vorzusehen.

Krisenmanagement - Krisenbeirat - Krisenteam

Wenn sich aufgrund des bisherigen Verlaufs in einem Pflegschaftsverfahren eine Eskalation abzeichnet, sollte dem/der RichterIn ein Krisenbeirat (u. a. KinderpsychologIn, VerfahrensbegleiterIn, StaatsanwältIn) zur Entscheidung über die weitere Vorgangsweise zu Verfügung stehen. Nach einem festgelegten „Krisenplan“ hat eine Person als KrisenmanagerIn die Anordnungen (konkrete Vorgangsweise, u. U. Zwangsmaßnahmen gegen Erwachsene, Umgang mit Medien etc.) zu treffen. Soll aufgrund der Entscheidung dieses Krisenbeirats eine Kindesabnahme gegen den Willen eines Elternteiles durchgeführt werden, hat ein geschultes Krisenteam, bestehend zumindest aus NotfallpsychologIn, ÄrztIn, Exekutive und einer qualifizierten und nicht in den Konflikt involvierten Vertrauensperson (evtl. VerfahrensbegleiterIn) des Kindes, eingeschaltet zu werden. Der Einsatz von ExekutorInnen erscheint in solchen Fällen jedenfalls ungeeignet. Pro Gerichtssprengel sollten es mindestens einen Krisenbeirat und ein Krisenteam mit klarem Prozedere und Auftrag geben.

Sachverständige

Dem Gericht müssen hoch qualifizierte Sachverständige, in ausreichender Zahl und mit der Verpflichtung zur Fortbildung, zur Verfügung stehen. Die Gutachten sind nach anerkannt wissenschaftlichen Methoden unter Berücksichtigung des gesamten Familiensystems durchzuführen. Bei der Frage der Obsorgezuteilung muss als Kriterium für die Erziehungsfähigkeit ganz wesentlich der Umgang mit dem nicht im Haushalt des Kindes lebenden Elternteil betont werden: Beziehungstoleranz und Umgangsloyalität sind zu fordern und zu fördern!

Qualitätssicherung

Zur Qualitätssicherung der Arbeit ist Aus- und Fortbildung, Reflexion und Supervision erforderlich und sollte selbstverständlich sein. Ganz wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass den professionell handelnden Personen die dahinter liegende spezielle Dynamik des jeweiligen Falles ebenso bekannt ist, wie auch der für Scheidungen typische Spaltungsmechanismus. Es braucht gerade für schwierige Fälle eine Vertrauensbasis der befassten Institutionen untereinander. Ziel sollte sein, trotz unterschiedlicher Professionen und Handlungsansätze eine gemeinsame Sichtweise und Einschätzung von hochdramatischen Fallverläufen zu entwickeln, um nicht selbst handlungsunfähig zu werden.

Medien - Schutz der Privatsphäre

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn Medien Missstände staatlichen Handelns aufzeigen oder schwierige Themen aufgreifen und dadurch positiv an Veränderungen mitwirken. Abzulehnen ist jedoch ein Journalismus, der Konflikte durch polarisierende Berichterstattung verschärft. In einem durch mediale Präsenz aufgeheizten Klima sind Familienkonflikte, die einen geschützten Rahmen und hochqualifizierte Instrumente der Beurteilung benötigen, nicht gut aufgehoben. Jedes Kind hat laut Kinderrechtskonvention das Recht auf Schutz der Privatsphäre. Wenn - möglicherweise in falsch verstandener Absicht „zu helfen“ - Identitäten und Details aus dem Familienleben preisgegeben werden, ist dies eindeutig eine Kinderrechtsverletzung mit einer einhergehenden Stigmatisierung des Kindes und der Familie in der Öffentlichkeit. Zur Vermeidung zukünftiger Fälle sollten daher Presserat und andere Gremien, die sich journalistischer Ethik verpflichtet fühlen, mit der grundsätzlichen Frage von Berichterstattung in Sorgerechtsstreitigkeiten befassen und medienrechtliche Maßnahmen ergriffen werden.

Kinderrechtskonvention in die Verfassung

Seit Jahren fordern die Kinder- und Jugendanwaltschaften die verfassungsrechtliche Verankerung der Kinderrechtskonvention. In Obsorgestreitigkeiten werden häufig das Recht des Kindes auf beide Eltern, das Recht auf kindgerechte Beteiligung, das Recht auf Schutz vor Gewalt, das Recht auf Schutz der Privatsphäre aber auch das zentrale Recht, dass bei allen staatlichen Maßnahmen das Kindeswohl vorrangig ist, verletzt. Zur Stärkung und Absicherung der Interessen und Rechte von Kindern wiederholen wir diese langjährige Forderung.

Aktiv werden

Die Zunahme an Scheidungen und medialer Berichterstattung über Einzelschicksale stellt eine Herausforderung dar, veränderte Rahmenbedingungen für betroffene Kinder und Jugendliche zu schaffen: Eltern sollen lernen, dass sich aus Sicht der Kinder weder der Gang durch die Medien noch der durch die Instanzen lohnt. Behördliches und institutionelles Vorgehen muss das Kind in den Mittelpunkt rücken und daher neu überdacht und geregelt werden, die Rolle der Medien ist im Zusammenhang mit Pflegschaftsverfahren kritisch zu beleuchten.

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