Keine SchülerInnen 3. Klasse

Die Sinnhaftigkeit einer zusätzlichen schlechter gestellten Schulstruktur für Kinder, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, ist nicht gegeben!

Stellungnahme zum Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz und das Schulpflichtgesetz 1985 geändert werden; BMBWF-12.660/0009-Präs.10/2018

Der vorliegende Entwurf des Bundesgesetzes mit dem das Schulorganisationsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz und das Schulpflichtgesetz 1985 geändert werden sollen, ist nach Auffassung der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs gänzlich abzulehnen!

Der vorliegende Entwurf entspricht nicht dem Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, dem Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie den Bildungszielen der Artikel 27 und 28 der UN-Kinderrechtskonvention. Nach der österreichischen Bundesverfassung müssen alle Entscheidungen das Wohl des Kindes berücksichtigen und dieses vorrangig behandeln und Kinder vor Benachteiligung und Diskriminierung schützen.

Die Sinnhaftigkeit einer zusätzlichen schlechter gestellten Schulstruktur für Kinder, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, ist nicht gegeben!

Das Gesetzesvorhaben schafft für eine unverhältnismäßig langandauernde Zeit (bis zu zwei Unterrichtsjahre) eine deutliche Benachteiligung für schulpflichtige Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Aufgrund des vorliegenden Gesetzesvorhabens kann den Kindern mit nicht „ausreichenden Deutschkenntnissen“ bis zu zwei Unterrichtsjahre der Regelunterricht verwehrt werden. Der Entwurf bleibt zudem eine genaue Definition „ausreichender Deutschkenntnisse“ und die Beschreibung der Instrumente, mit welchen die „ausreichenden“ Deutschkenntnisse der Kinder gemessen werden, schuldig.

Das Vorhaben im Gesetzesentwurf der Wiederholung von Klassen für Kinder im Volksschulalter erachten wir als eine weitere Diskriminierung.

Probleme in "Willkommensklassen" bereits erwiesen

Um zu wissen, wie wenig erfolgsversprechend für die Integration, das vorgeschlagene Modell ist, reicht es, zum deutschen Nachbarn zu schauen. In Berlin wurden sogenannte „Willkommensklassen“ für neuzugewanderte Kinder eingeführt, die identisch mit den im vorliegenden Entwurf beschriebenen Vorhaben sind. Eine durch die Beauftragte der deutschen Bundesregierung für die Flüchtlinge, Migration und Integration unterstützte Untersuchung zeigt mehrere Problembereiche in sogenannten „Willkommensklassen“ auf. Die Untersuchung stellt zudem fest, dass dort, wo Kinder in altersentsprechenden Regelklassen unterrichtet wurden und ergänzende Sprachförderung erhielten, weitaus weniger organisatorische Probleme auftraten als in den „Willkommensklassen“. Ein weiterer Vorteil bei der direkten „Eingliederung der neu eingewanderten oder sprachlich schwachen Kinder in die Regelklasse“ war die ausbleibende Stigmatisierung der Schülerinnen und Schüler als gesonderte Gruppe.

Mitbestimmung nur für die, die dazugehören

Der im Gesetzesentwurf geplante Ausschluss der Kinder in den Deutschförderklassen von der Schülervertretung, dem Schulforum und dem Schulgemeinschaftsausschuss ist eine schwere Verletzung des Rechtes der Kinder auf Partizipation und Mitbestimmung und ist absolut abzulehnen. Zudem wird durch den Ausschluss die Möglichkeit diesen jungen Menschen demokratische Werte zu vermitteln, unterbunden.

Der vorliegende Entwurf spricht von Lehrpersonal mit DaZ- und DaF-Ausbildung. Es ist nicht näher verständlich, ob diese Lehrpersonen zusätzlich zu ihrer pädagogischen Grundausbildung diese Zusatzausbildungen vorweisen müssen, oder ob es als ausreichend gesehen wird, dass das Lehrpersonal für den Deutschförderunterricht nur eine DaF- oder DaZ-Ausbildung, aber keine pädagogischen Qualifikationen hat. Die zuvor erwähnte Untersuchung zu „Willkommensklassen“ kommt zum Schluss, das integrativ arbeitende Schulen auch deshalb so erfolgreich sind, weil die Kinder zumeist von ausgebildeten Grundschullehrkräften unterrichtet werden und die gesamte Regelklasse Unterstützung durch DaZ-geschulte Lehrkräfte erhält. „Die Regelklasse folgt einem altersentsprechenden Curriculum und Fachunterricht ist gewährleistet“.

Sprachstartgruppen und Sprachförderkurse waren bereits seit 1. September 2016 möglich: SchülerInnen, die wegen mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache nicht als ordentliche SchülerInnen aufgenommen wurden, sollten vor dem vollständigen Eintritt in den Regelunterricht in eigenen Sprachstartgruppen intensiv in der Unterrichtssprache Deutsch soweit auf den Regelunterricht vorbereitet werden, dass sie in diesen vollständig übertreten und diesem folgen konnten. Aufbauend auf dem erfolgreichen Besuch einer Sprachstartgruppe sollte nach dessen Beendigung die Sprachförderung in Form eines Sprachförderkurses fortgesetzt werden.

Evaluierung nicht abgewartet

Diese Maßnahme wurde zum Zwecke der Evaluierung mit insgesamt drei Schuljahren (2016/17, 2017/18 und 2018/19) befristet. Eine entsprechende Evaluierung hätte bis 31. Jänner 2019 erfolgen sollen, wobei als Schwerpunkte der Evaluierung insbesondere die Wirkungen der Sprachförderungsmaßnahmen und die Effizienz des damit zusammenhängenden Ressourceneinsatzes unter Einbeziehung der entsprechenden Erlässe des Bundesministeriums für Bildung und Frauen geplant waren. Nun hat die Regierung jedoch den Vorschlag einer Gesetzesänderung des SchOG vorgelegt, bevor eine Evaluierung des § 83 Abs. 4 erfolgt ist. Hier wird ohne nachvollziehbare Begründung auf wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sprachförderung verzichtet.

Wie am Beginn festgehalten, erachten wir den vorliegenden Entwurf zur Gänze als einen dem Wohl des Kindes widersprechenden und ersuchen die verantwortlichen EntscheidungsträgerInnen, von ihrem geplanten Vorhaben Abstand zu nehmen.

Vision der Schule als Ort, wo Frieden heranwächst

Gleichzeitig wollen wir der Bundesregierung nahelegen, sich für die Schaffung von Rahmenbedingungen einzusetzen, die eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Schule, welche einen an den Kinderrechten orientierten Ort der Entfaltung und des Schutzes von Kindern darstellt und wo sich eine Friedenskultur entwickeln kann, einzusetzen. Kinder benötigen in den Schulen – unter Einbeziehung der Eltern – unabhängig von Sprachkenntnissen sowie ethnischer, sozialer und kultureller Zugehörigkeit, eine gesetzlich sichergestellte alters- und kindgerechte pädagogische und psychosoziale Betreuung, die den Kindern die besten Chancen für die Gegenwart und Zukunft sichert.