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Stellungnahme zur Sommerschule

Wir, die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs, möchten uns für die Gelegenheit bedanken, zu dem geplanten Gesetzesvorhaben eine Stellungnahme beizusteuern. Die nun angestrebte gesetzliche Verankerung der Sommerschule sehen wir insgesamt als positiv an.

Hierbei möchten wir betonen, dass besonders die in den Erläuterungen genannte Ausrichtung des Unterrichts als „abwechselnd themenzentriert, lehrerzentriert und projektorientiert“ positiv zu bewerten ist. Wir möchten in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass es selbstverständlich stets das Ziel sein muss, im Sinne des Kindeswohls für jedes Kind eine bestmögliche Lern- und Partizipationsatmosphäre zu schaffen.

Jedoch erschließt sich aus dem vorliegenden Entwurf auch, dass ebenjene notwendige Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Kinder und Jugendlichen nicht umfassend gegeben zu sein scheint. Ganz besonders auffallend ist dies, wenn man die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen betrachtet. Wie in der vorliegenden Stellungnahme im Zusammenhang mit den jeweils betreffenden inhaltlichen Aspekten aufgezeigt wird, müssen wir in diesem Bereich noch zu deutlichen Verbesserungen eines ansonsten über weite Teile gelungenen Gesetzesentwurfs anregen.

Zu den inhaltlichen Anmerkungen:

Ad § 8 lit. g Schulorganisationsgesetz

In der hier geplanten Änderung wird durchwegs betont, dass das Angebot der Sommerschule im Sinne eines Förderunterrichts in der unterrichtsfreien Zeit auf alle Kinder und Jugendlichen ausgeweitet werden soll. Diese zu begrüßende und „die Ausrichtung des Förderbedarfs dem Grunde nach“[1] ändernde Neuerung nimmt jedoch zu wenig auf die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung Bedacht.

Gemäß Art 6 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte), in welchem speziell auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung eingegangen wird, ist normiert, dass diese einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse haben. Diese Norm, die gem Art 6 2. Satz BVG Kinderrechte im Sinne von Art 7 BVG auszulegen ist, bedarf naturgemäß speziell in einem schulischen Kontext besonderer Berücksichtigung. Dabei ist dem in den Erläuterungen zum BVG Kinderrechte[2] zitierten Art 24 der UN-Behindertenrechtskonvention zu entnehmen, dass ein inklusive Schulsystem auf allen Ebenen zu gewährleisten ist.[3] Auch Art 23 der UN-Kinderrechtskonvention, ebenso zitiert in den Erläuterungen des Art 6 BVG Kinderrechte, betont die Notwendigkeit, Kindern und Jugendlichen mit Behinderung einen effektiven Zugang zum Bildungssystem sicherzustellen.[4] Der EGMR hat die Bedeutung des Rechts auf Bildung gerade für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und die damit einhergehenden staatlichen Verpflichtungen in einer rezent ergangenen Entscheidung abermals hervorgehoben.[5]

Unsere Annahme, dass im vorliegenden Entwurf für die genannte Gruppe kein gleichwertiger Zugang mitbedacht ist, gründet sich auf die ebenso mitgesendete wirkungsorientierte Folgenabschätzung. Da hier neben den geringen zusätzlichen Kosten für das Lehrpersonal mit keinen weiteren Kosten gerechnet wird, ist anzunehmen, dass der Zugang zu den Sommerschulen eine unüberwindbare Hürde für Kinder mit – insbesondere schweren – Behinderungen bleibt. Um diesen ebenfalls einen dem Art 6 BVG Kinderrechte entsprechenden Zugang zu ermöglichen, bedürfte es der Fokussierung folgender, bis jetzt noch nicht ersichtlicher Aspekte:

  • Sicherstellung eines wohnnahen Angebots von inklusiven Plätzen für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung;
  • Gewährleistung der notwendigen Ressourcen betreffend den Pflegebedarf und die gesundheitliche Betreuung;
  • Berücksichtigung der Notwendigkeit, Fachpersonal an allen Sommerschulstandorten, bei denen es den Bedarf dafür gibt, zu beschäftigen.

In diesem Zusammenhang möchten wir betonen, dass das BVG Kinderrechte und damit auch der darin enthaltene Art 6 positive Verpflichtungen für den Staat beinhaltet,[6] einerseits den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung Rechnung zu tragen, andererseits die Gleichstellung von behinderten und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen in sämtlichen Lebensbereichen, daher jedenfalls in einem so essenziellen Lebensbereich wie der Bildung, zu gewährleisten. Es ist somit dieser verfassungsrechtlich normierten Verantwortung zu entsprechen und die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sind mit zu berücksichtigen. Nur in diesem Fall kann tatsächlich davon gesprochen werden, dass sich der „Förderbedarf an alle Schülerinnen und Schüler“[7] richtet.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs regen somit an, die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung gem Art 6 BVG Kinderrechte zu berücksichtigen und eine Aufstockung der Ressourcen vorzunehmen, um einen der oben genannten Norm entsprechenden, gleichwertigen Zugang zum neu geschaffenen Bildungsangebot der Sommerschulen zu gewährleisten.

Ad § 8a Abs 5 Schulorganisationsgesetz

Aufgrund der Tatsache, dass das Kinderrecht auf Bildung (Art 28 KRK) als individuelles Recht ausgestaltet ist, sollte unseres Erachtens in Bezug auf die Zustimmung der Schulbehörde eine Muss-Bestimmung und keine Kann-Bestimmung formuliert werden. Diese Argumentation entspricht ebenfalls dem der österreichischen Verfassung immanenten Recht auf Bildung (Art 2 des 1. Zusatzprotokolls EMRK). Auch in dieser Norm ist ein individuelles Recht der Kinder und Jugendlichen auf eine qualitativ hochwertige Bildung festgehalten. Dies bedeutet, dass auch in der in Art 14 Abs 7a B-VG verankerten Verpflichtung zur qualitativ hochwertigen Ausgestaltung der Schulpflicht der Besuch der Sommerschule, wenn sie denn gesetzlich implementiert ist, bei Vorliegen der Voraussetzungen (hier sechs Kinder) gewährleistet werden muss und nicht nur kann.

Deshalb regen wir folgende Änderung an:

Die Schulbehörde muss die Zustimmung erteilen, wenn zumindest sechs Schülerinnen und Schüler bis zum Ende des Unterrichtsjahres angemeldet sind“.

Ad § 18 Schulunterrichtsgesetz

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften begrüßen, dass die Kompetenz der Standorte bei der Gruppenzuteilung der Schülerinnen und Schüler in der Sommerschule im Zentrum steht. So ist von bestmöglichen Gruppenzusammenstellungen auszugehen, die einen guten Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler unterstützen.

Bezüglich des angestrebten „sprachsensiblen Unterrichts“ sind zwei miteinander verbundene Aspekte anzuführen: Erstens stellt sich die Frage, wie angesichts der oftmals mangelhaften Ausbildung der Lehramtskandidat:innen und Lehrkräfte im Bereich DaF/DaZ ein Unterricht zu gewährleisten ist, der tatsächlich als sprachförderlich zu bezeichnen wäre. Hier bedarf es in einigen Bundesländern dringend einer Überarbeitung der Ausbildungscurricula, sodass DaF/DaZ, wie mancherorts bereits gegeben, ein für alle Studierenden umfassend verankerter Bereich der Ausbildung wird. Damit in Zusammenhang ist zweitens die Vorstellung zu überdenken, „sprachsensible“ Bildung sei nur etwas für Schülerinnen und Schüler im Prozess des Deutscherwerbs. Entsprechend dem Forschungsstand[8] wäre vielmehr eine durchgängige Sprachbildung zu gewährleisten, die zudem für alle Schülerinnen und Schüler als relevant zu betrachten ist. Der Erwerb bestimmter fachsprachlicher Begriffe ist dabei nur einer von mehreren Aspekten – der zudem keineswegs nur Schülerinnen und Schüler mit „sprachlichen Defiziten“, wie es (aus sprachwissenschaftlicher Perspektive unrichtig, falls hierunter mehrsprachige Schülerinnen und Schüler zu verstehen sind) in den Erläuterungen heißt, betrifft. Denn die Sprache der Schule setzt sich aus Alltagssprache, Fachsprachen und fächerübergreifender Bildungssprache zusammen, die sich alle drei bei allen Schülerinnen und Schülern im Zuge der Bildungslaufbahn entwickeln und ausdifferenzieren. Diese Sprachen sind dabei nicht nur implizit zu vermitteln, sondern sinnvollerweise auch explizit und in ihrem Verhältnis zueinander zu thematisieren.

Somit schlagen wir vor,

  • erstens bei der Auswahl der Lehrenden in der Sommerschule deren Kompetenzen in den Bereichen der sprachlichen Bildung und DaF/DaZ zu berücksichtigen,
  • zweitens den Erwerb von Kompetenzen im Bereich der sprachlichen Bildung und DaF/DaZ als notwendiges Grundelement der Ausbildung von Lehramtskandidat:innen anzuerkennen und in den Lehrer:innenausbildungen österreichweit umfassend zu sichern und
  • drittens den Gesetzesvorschlag dahingehend zu überarbeiten, dass sprachförderliches Lehren und Lernen bzw. durchgängige Sprachbildung – idealerweise mit den Aspekten Ressourcenorientierung, diagnosegestützte individuelle Förderung, sprachbewusster Unterricht, sprachintensiver Unterricht, Bildungssprache als Ziel und Scaffolding – nicht als „Sonderprogramm“, sondern als Anspruch an jeden Unterricht formuliert werden.

Ad § 12 Abs 10 bis 12 Schulunterrichtsgesetz

Bezüglich dieser geplanten Gesetzesänderung möchten wir hervorheben, dass die Kinder- und Jugendanwaltschaften die Einbindung der Schülerinnen und Schüler in ein Buddy-System aus Sicht des in Art 4 BVG Kinderrechte festgehaltenen Rechts der Kinder auf Partizipation und Mitgestaltung sehr positiv sehen. Wir begrüßen, dass Kinder und Jugendliche im Schulsystem aktiver teilhaben und ihre Meinung auch Berücksichtigung findet. Diese Partizipation eröffnet positiv zu bewertende Möglichkeiten der Verantwortungsübernahme und der Erfahrung von Handlungsfähigkeit. Weiters werden Organisationsfähigkeit, Selbstbewusstsein sowie Teamfähigkeit gestärkt – alles Eigenschaften von erheblicher Relevanz nicht zuletzt für das spätere Berufsleben. Dieser Schritt, der aus unserer Sicht auch noch auf andere Bereiche auszudehnen wäre, ist wichtig, um den in Art 14 Abs 5a (ins. 3. Satz) B-VG normierten Zielen des österreichischen Bildungssystems zu entsprechen.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften begrüßen somit die intensivierte Partizipation von Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Buddy-Systems. Gleichzeitig regen sie dazu an, die Bemühungen um die Möglichkeit der Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen weiter auszudehnen.

Ad § 12 Abs 11 Z 3 Schulunterrichtsgesetz

Aufgrund des Kinderrechtes auf Spiel und Freizeit (Art 31 KRK), der sich vor allem in dem vorrangig zu berücksichtigenden Art 1 BVG Kinderrechte in Zusammenhang mit dem Recht auf Entwicklung und Entfaltung wiederfindet, ist es unseres Erachtens insbesondere im Falle ganztägiger Formen der Sommerschule essenziell, dass der Unterricht jedenfalls durch Bewegungseinheiten ergänzt wird.

Somit regen wir dazu an, an dieser Stelle statt einer Kann-Bestimmung eine Muss-Bestimmung zu formulieren: „Der Förderunterricht […] ist durch Bewegungseinheiten zu ergänzen…“).

Ad § 2 Abs 7 Schulzeitgesetz

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften ersuchen, bezüglich des IKT-gestützten Unterrichts als alternative Lösung für Katastrophenfälle, die Vorrangigkeit der psychischen Gesundheit der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen.

Entsprechend schlagen wir folgende Ergänzungvor:

„Wenn die Verordnung dieser Unterrichtsform nicht möglich, aufgrund des Alters oder der Unterrichts- und Erziehungssituation der Schülerinnen und Schüler oder aufgrund der anzunehmenden psychischen Belastung der Schülerinnen und Schüler durch den Katastrophenfall nicht zweckmäßig ist“

Ad § 2 Abs 9 Schulzeitgesetz

Weiters regen wir an – da eine ganztägige Form der Sommerschule geplant ist (siehe § 2 Abs 9 Schulzeitgesetz, wo es heißt: „… Der Unterrichtstag darf nicht vor 07.30 Uhr beginnen und hat spätestens um 18.00 Uhr zu enden…“) –, einen Passus einzufügen, dass die Sommerschule inklusive Betreuung gratis angeboten wird, damit Kinder unabhängig von der Einkommenssituation ihrer Eltern an der Sommerschule und damit sowohl am Unterrichtsteil als auch am Betreuungsteil teilnehmen können. Es haben nämlich alle Eltern hohe Ausgaben im Zusammenhang mit Bildung und Betreuung ihrer Kinder. Darüber hinaus würde dies auch zu einer guten Durchmischung der Kinder mit unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen führen und so zu sozialem Zusammenhalt sowie einer gleichberechtigten und solidarischen Gesellschaft beitragen.

Zusammenfassend:

Als Fazit lässt sich herausstellen, dass die geplanten Neuregelungen für die Sommerschulen aus Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs in jedem Fall zu begrüßen sind. Dabei ist vor allem der innovative und partizipative Zugang hervorzuheben. Dennoch wären im Sinne eines flächendeckenden sowie gleichberechtigten Zugangs einige Nachbesserungen notwendig.

Insbesondere weisen die Neuregelungen beträchtliche Mängel auf, wenn es um die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen geht und sind auch im Bereich der Sprachbildung überarbeitungswürdig.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung. Für die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs,

Dunja Gharwal & Ercan Nik Nafs, Kinder- und Jugendanwält*innen Wiens


[1] siehe Erläuterung, S 2.
[2] ErläutRV 1051 BlgNr. 24, Art 6.
[3]Committee on the Rights of Persons with Disabilities, General comment No. 4 (2016) on the right to inclusive education, S 2ff.
[4]Committee on the Rights of the Child, General Comment No. 9 (2006), on the rights, speziell zu der fehlenden Budgetierung im Bereich der inklusiven Bildung und der sich daraus ergebenden Probleme S 6f.
[5] EGMR, Kammer I, G. L. gg. Italien – 59751/15, am 10.9.2020.
[6]Fuchs, Kinderrechte in der Verfassung: Das BVG über die Rechte von Kindern, Jahrbuch Öffentliches Recht 2011.
[7] Siehe Erläuterung, S 2.
[8] vgl. etwa Ingrid Gogolin, Imke Lange, Durchgängige Sprachbildung. Eine Handreichung. Unter Mitarbeit von Dorothea Grießbach, Waxmann, Münster 2010; Hans H. Reich, Hans-Joachim Roth, Spracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder und Jugendlicher. Ein Überblick über den Stand der nationalen und internationalen Forschung. Hamburg 2002, https://www.foermig.uni-hamburg.de/pdf-dokumente/spracherwerb.pdf (abgerufen am 11.11.2021); Virginia P. Collier; Wayne P. Thomas, Validating the power of bilingual schooling: Thirty-two years of large-scale, longitudinal research, in: Annual Review of Applied Linguistics (ARAL) 37 (2017), S. 203–217.

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