***Stellungnahmen Einzelansicht***

Halbherziges Kinderbeistandgesetz

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs (KIJAs) als Interessensvertretung für Kinder und Jugendliche begrüßen ausdrücklich die legistische Umsetzung der erfolgreichen Modellprojekte durch Einführung eines Kinderbeistandes (KB) für Minderjährige in Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren. Es wird damit ein wichtiger Schritt in Richtung Erfüllung der Rechte von Kindern auf Meinungsäußerung und Partizipation gemäß Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention sowie des Rechtes des Kindes auf beide Eltern gemäß Artikel 9 UN-Kinderrechtskonvention gesetzt.

Gesetz auf schwachen Beinen

Gleichzeitig befürchten die KIJAs, dass diese hervorragende Chance für Kinder zur besseren Bewältigung dieser häufig schwierigen Lebensphase aufgrund der prekären Budgetsituation bzw. überzogener Sparsamkeit und mangelnder Berücksichtigung von ExpertInnenmeinungen zu einem halbherzigen Kompromiss verkommt. Der vorgelegte Entwurf1 stellt für eine optimale Wirksamkeit des Kinderbeistandes eine insgesamt doch relativ schwache Grundlage dar. Die KIJAs als wesentlich Mitinitiatoren bzw. fachliche Begleiter zweier Pilotprojekte (Wien, Salzburg) hoffen im Interesse der betroffenen Kinder, dass die Erfahrungen aus den Modellprojekten bzw. der Begleitforschung des Instituts für Rechts- und Kriminalssoziologie zur Gänze berücksichtigt werden. Die KIJAs gehen davon aus, dass es in wesentlich mehr als 600 Fällen notwendig sein wird, einen KB zu bestellen. Somit erscheint die Budgetierung mit Euro 300.000,- bei 600 Fällen bei weitem zu niedrig angesetzt. Sowohl wenn man bedenkt, dass die Scheidungszahlen steigen (die Zahl der Obsorgeanträge ist von 2004 auf 2008 um knapp 25 Prozent gestiegen, bei Besuchsrechtsanträgen gab es im selben Zeitraum ein plus von 20 Prozent) aber auch ein möglichst früher Bestellungszeitpunkt für das Gelingen der Aufgabe, nämlich Kinder zu entlasten, wesentlich ist.

Kritikpunkte

Voraussetzungen der Bestellung

Rechtsanspruch

Begrüßt wird die Regelung des § 104a Abs. 1 insofern, als eine Verpflichtung zur Bestellung eines KB unter den genannten Voraussetzungen besteht. Allerdings sollte statt der Voraussetzung, „wenn es im Hinblick auf die Heftigkeit der Auseinandersetzung“ geboten ist die Formulierung „wenn es zur Unterstützung des Minderjährigen notwendig ist“ gewählt werden. Die Bestellung eines Kinderbeistandes soll ausschließlich an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientiert sein!

Zeitpunkt

Zu ergänzen wäre die Regelung insbesondere dahingehend, dass die Bestellung nach Feststellung der Voraussetzungen so früh wie möglich zu erfolgen hat. Wie sich in der Praxis gezeigt hat, ist ein möglichst früher Zeitpunkt der Bestellung sowohl für das Gelingen des Vertrauensverhältnisses zum Kind als auch zur Verhinderung einer weiteren Eskalation notwendig. Eine zeitgerechte Einsetzung des KB im laufenden Verfahren erhöht die Chance auf eine einvernehmliche Lösung erheblich, da sich die Fronten erfahrungsgemäß mit fortschreitendem Verfahren verhärten. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass mit fortschreitendem Verfahren das Kind u.U. einer massiven Beeinflussung durch einen Elternteil ausgesetzt wird und ein freier Wille wesentlich schwerer zu eruieren ist. Konkret sollte dieser Zeitpunkt definiert werden, beispielsweise im Falle des Scheiterns einer Mediation oder „wenn sich in der ersten Verhandlung abzeichnet, dass sich die Eltern nicht einigen können“. Auch in Deutschland wurde im FGG Reformgesetz diesem Umstand legistisch Rechnung getragen.

Alter des Kindes

Völlig unverständlich ist, weshalb das Alter von Kindern, bis zu welchem ein KB bestellt werden kann, mit 14 Jahren festgesetzt wurde. Im Sinne der Gleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen ist daher eine Verpflichtung zur Bestellung eines KB bei Anträgen von Minderjährigen über 14 Jahren zu fordern ("Eine Bestellung hat zu erfolgen, wenn das Kind älter als 14 Jahre ist und dies beantragt.") Die UN-Kinderrechtskonvention gilt für Kinder bis zum 18. Lebensjahr! Trotz der Möglichkeit mündiger Minderjähriger, Verfahrenshilfe zu beantragen, wäre es für mündige Minderjährige - insbesondere im Hinblick auf die meist hochemotionale Komponente einer Trennung, von der gerade oder auch Jugendliche betroffen sind - vorzuziehen, eine im psychosozialen Bereich geschulten Person anstelle einer juristisch geschulten Person zur Seite gestellt zu bekommen.

Ausreichende Anzahl von Kinderbeiständen

Höchst bedenklich erscheint die Formulierung "… und dem Gericht geeignete Personen zur Verfügung stehen ..." Nach rechtsstaatlichen Prinzipien und im Sinne einer Gleichbehandlung aller Kinder ist es inakzeptabel, dass die Vertretung von Kindern von personeller Verfügbarkeit abhängig gemacht wird. Ansonsten ist zu befürchten, dass insbesondere Kinder in ländlichen Regionen benachteiligt werden. Der Rechtsstaat hat sicherzustellen, für ausreichend geeignete KB zu sorgen, sodass die Unterstützung durch einen KB allen Kindern in gleicher Art zugänglich gemacht wird.

Begründungspflicht

Sieht das Gericht von der Bestellung eines KB ab, sollte diese Entscheidung jedenfalls begründet werden müssen.

Aufgaben des Kinderbeistands

Äußerst positiv wird die ausschließliche Vertretung der Interessen der Kinder im Sinne des Kindeswillens gesehen, was auch in der Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Kind zum Ausdruck kommt. Das Einvernehmen über Informationen und Wünsche, die dem Gericht gegenüber geäußert werden, fördert in hohem Maße das Vertrauen zwischen Kind und KB und bildet eine optimale Grundlage für kindgerechte Arbeit. Der Satz: "Im Einvernehmen mit dem Kind hat er dessen Meinung dem Gericht gegenüber zu äußern", sollte dahingehend ergänzt werden, dass diese Äußerung des KB eine Anhörung (Erscheinen) des Kindes vor Gericht ersetzen kann, falls das Kind dies ausdrücklich möchte und hinreichende Gründe bestehen, dass allenfalls die Entwicklung des Kindes dadurch gefährdet wäre. Über die Arbeit mit dem Kind hinaus sind jedoch erfahrungsgemäß in der Regel Gespräche mit Eltern, jedenfalls zur Erklärung der Aufgaben und Funktion des Kinderbeistandes, erforderlich. Außerdem zeigte sich im Pilotprojekt, dass Gespräche mit weiteren Bezugspersonen, sowie das Mitwirken an einer einvernehmlichen Lösung durch den KB durchaus wirkungsvoll sein können. Daher sollten in seiner Funktion als Sprachrohr des Kindes Gespräche mit Eltern und sowie im sozialen Umfeld im Interesse des Kindes von der Aufgabenstellung umfasst sein. "Reine" Elternarbeit sollte aus fachlicher Sicht jedoch ausgeschlossen sein.

Es wird deshalb folgende Formulierung des Abs. 2 empfohlen "Der KB hat insbesondere mit dem Minderjährigen …", um die Möglichkeit von punktuellen Elterngesprächen zu ermöglichen.In Deutschland wurde aufgrund der mannigfaltigen Erfahrungen hinsichtlich der Mitwirkung an einvernehmlichen Lösungen sowie von Gesprächen mit weiteren Bezugspersonen bei der letzten Novelle ein entsprechender Passus im § 166 Ref-E (FGG-Reformgesetz) eingefügt.

Beendigung der Tätigkeit des Kinderbeistands

Es ist vorgesehen, dass die Bestellung des Kinderbeistandes mit der Rechtskraft des Verfahrens endet bzw. dass der Kinderbeistand lediglich den Beschluss in einer Abschlussbesprechung erläutert bzw. "Bilanz zieht". Erfahrungen haben gezeigt, dass eine Beendigung der Tätigkeit des KB mit Entscheidungsfindung des Gerichtes zu früh angesetzt ist. Denn gerade in der ersten Zeit nach Beschlussfassung findet eine Neuorientierung der Familie im Zuge der Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung statt. Die neu geschaffene Situation birgt massiven Konfliktsstoff in der praktischen Umsetzung und beim Finden neuer Umsetzungswege. Gerade in dieser schwierigen Zeit nehmen Kinder gehäuft die Unterstützung des KB, zu dem sie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben, in Anspruch, der klärend und erklärend bei praktischen Problemen helfen kann. Es ist auch im Sinne der Kontinuität einer Begleitung nicht wünschenswert, die Kinder in dieser Phase an andere Beratungsinstitutionen zu verweisen. Vorgeschlagen wird ein Zeitraum von jedenfalls drei Monaten nach rechtskräftiger Erledigung der Sache.

Rechtsmittelverzicht

Analog zum Verfahrensbeistand in Deutschland sollte gegen die Bestellung eines Kinderbeistandes kein gesondertes Rechtsmittel zulässig sein und damit die Position des Kindes gestärkt und außer Streit gestellt wird. Da Kinderbeistände in hochstrittigen Verfahren eingesetzt werden sollen, ist damit zu rechnen, dass die Eltern anwaltlich vertreten sind und Rechtsmittel eingebracht werden. Das würde aber das Verfahren zum Nachteil der Kinder weiter verzögern.

Kosten

Kostentragung

Auch wenn die Eltern als Verursacher für die Notwendigkeit eines KB angesehen werden können, ist eine Verpflichtung der Eltern zur Kostentragung abzulehnen. Dies würde die Arbeit als KB massiv erschweren, da der Kinderbeistand dadurch leicht in die Rolle des "Auf tragsnehmers" der Eltern gedrängt werden kann. Die hohe Akzeptanz unter den Elternteilen während der Pilotphase bildete eine solide Arbeitsbasis für den Kinderbeistand. Diese durch die vorgesehene Kostenpflicht der Eltern zu gefährden, wäre absolut kontraproduktiv. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies für Eltern, deren Elternschaft ohnehin durch ein hohes Konfliktpotential gekennzeichnet ist, einen weiteren Anlass für Auseinandersetzungen bietet. Wenn man die Situation von Minderjährigen im Rahmen von strittigen Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren ernstlich verbessern will, dann kann die Intention, durch Gebühreneinnahmen eine Einsparung der Hälfte der angegebenen jährlichen Mehr- bzw. Gesamtkosten erwirken zu wollen, nicht nachvollzogen werden. Es wird daher gefordert, die Kostentragung durch die Eltern ersatzlos zu streichen.

Overhead-Kosten

Hinsichtlich der Kostentragung sind keine Regelungen zu Kilometergeld oder sonstigen Ausgaben für Telefonate etc. getroffen. Insbesondere bei Begleitungen im ländlichen Bereich können diese Kosten aber erheblich sein. Es könnte somit indirekt wieder zu einer Diskriminierung von Kindern im ländlichen Bereich aufgrund von Personalmangel kommen.

Honorarhöhe

Eine Pauschalabgeltung wurde bereits in Deutschland nach Einführung heftig kritisiert. Es sollte bereits im Vorfeld detailliert geregelt werden, welche Tätigkeiten (Gerichtstermine, Gespräche mit Kind, Eltern und Umwelten, Aktenstudium, Schreib- und Telefonauslagen etc.) in welchem Zeitaufwand vergütungsfähig sind, um späteren Klärungsbedarf zu vermeiden. Das Honorar für die anspruchsvolle Tätigkeit eines Kinderbeistandes sollte jedenfalls an die Höhe des Stundensatzes der Prozessbegleitung angepasst werden.

Qualitätssicherung

Qualifikation

Die im besonderen Teil der Erläuterungen geforderten Qualifikationen werden im Hinblick auf die Grundausbildung der KB als zu eng erachtet. Neben den genannten Berufsgruppen sollten insbesondere auch SozialpädagogInnen, ausgebildete Lebens- und SozialberaterInnen und MediatorInnen, sowie JuristInnen mit entsprechender Zusatzausbildung als KB zugelassen werden. Eine rigorose Einschränkung birgt die Gefahr, dass geeignete Personen mit ausreichender praktischer Erfahrung aus verwandten Berufen nicht zugelassen werden können. Es ist zu befürchten, dass bei einer derartigen formalen Einschränkung keine ausreichende Anzahl an KB zur Verfügung steht, obwohl professionelle und geeignete Personen vorhanden wären. Bereits im Pilotprojekt hat sich gezeigt, dass einerseits aufgrund der Entlohnung die Ausübung der Funktion eines KB vor allem für männliche Interessenten mit Hochschulausbildung aufgrund des Honorars unattraktiv war, dass aber andererseits die Ausübung durch Lebens- und SozialarbeiterInnen und MediatorInnen in höchst zufriedenstellender Weise erfolgt ist.

Im durchaus vergleichbaren Bereich der Besuchsbegleitung sind vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz anerkannten BesuchsbegleiterInnen mit pädagogischen oder psychologischen Grundberufen und zusätzlicher einschlägiger pädagogischer oder psychologischer Zusatzqualifikation zugelassen. Häufig sind folgende Grundberufe:

  • PsychologInnen
  • PädagogInnen
  • PsychotherapeutInnen
  • Lebens- und SozialberaterInnen
  • MediatorInnen
  • DiplomsozialarbeiterInnen
  • Kindergarten- und HortpädagogInnen

In Deutschland hat man einen sehr offenen Weg gewählt: in den Standards für VerfahrenspflegerInnen wird für Verfahrenspfleger eine juristische, pädagogische oder psychosoziale Grundausbildung gefordert und der Schwerpunkt auf die Eignung und die Zusatzqualifikation gelegt.
Eine derartige Formulierung wäre auch für die österreichische Regelung wünschenswert.

JuristInnen als KonsulentInnen

Erfahrungen aus den Pilotprojekten haben gezeigt, dass bei der Aufgabenerfüllung häufig Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren auftauchen. Für Nicht-Juristen sollte es die Möglichkeit geben, aus einem Pool von Konsulenten Rücksprache hinsichtlich juristischer Fachfragen halten zu können.

Trägerorganisation

Wie bereits mehrfach betont, haben die Erfahrungen aus der Prozessbegleitung und während der Modellprojektphase zum KB gezeigt, dass es absolut notwendig ist, dass die Kinderbeistände zur Qualitätssicherung regelmäßig an Intervision, Supervision und gemeinsamen Fortbildungen teilnehmen. Ebenso ist es notwendig, mit den KooperationspartnerInnen kontinuierliche Qualitätszirkel zur Überprüfung und Weiterentwicklung der Standards abzuhalten.

Dies wird auch durch die Begleitforschung und die Erfahrungen in Deutschland bestätigt. Es wird daher dringend empfohlen, die angeführten Rahmenbedingungen über eine Trägerorganisation (Dachverband) zu organisieren. Es bestehen Bedenken, inwieweit die Vermittlung/Ausbildung etc. von Kinderbeiständen ausschließlich über die Justizbetreuungsagentur, die sich dafür aber verschiedener Trägervereine bedienen kann, geeignet ist. Die Justizbetreuungsagentur ist eine kompetente Stelle mit der Aufgabe, Personal für Justizanstalten bereit zu stellen. Es wird empfohlen, einen österreichweiten Verein mit einschlägiger Erfahrungen mit den o. a. Aufgaben zu betreuen.

Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass der Kinderbeistand zwar ein wesentliches Instrument zur Verbesserung der Situation von Kindern "in stürmischen Zeiten" darstellt, es aber angesichts der zunehmenden Problematik eine Reihe an weiteren Verbesserungsvorschlägen der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs gibt: Allen voran die Einführung eines Außergerichtlichen Familienausgleichs, wo mithilfe eines Mediatorenteams unter Beiziehung eines Kinderbeistand die Basis für einvernehmliche Lösungen geschaffen werden soll. Erst im Falle eines Scheiterns sollen Gerichte in Anspruch genommen werden.

1 Kinderbeistand Gesetz: BMJ-B4.500/0012-I 1/2009

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