Ein Trauerspiel in mehreren Akten, Weihnachtsbrief
Vorweg: Es gibt viele Menschen in diesem Land – und dazu zähle ich auch etliche PolitikerInnen - die sich aufrichtig bemühen, die Herausforderungen dieser Zeit intelligent, menschlich und sozial zu meistern. Dennoch: Vieles muss sich 2016 ändern.
1. Akt – Ankommen im rechtlichen Niemandsland
3.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden aktuell über Monate in zum Teil unbeheizten Massenquartieren untergebracht. Sie gehen nicht in die Schule, haben keine Betreuung und manche nicht einmal ein Bett. Aber was schlimmer ist, sie wissen nicht wohin, sie wissen nicht, wie lange sie bleiben können, sie wisse nichts! Egal ob Leoben, Traiskirchen oder die Schwarzenbergkaserne – Volksanwaltschaft und Kinder- und Jugendanwaltschaft kritisieren aufs Schärfste die Missstände im rechtlichen Niemandsland.
2. Akt - Integration
In den Quartieren der Bundesländer verbessert sich die Situation für die Kinder und Jugendlichen, aber allzu oft werden Integrationsbemühungen ad absurdum geführt:
Beispiel 1:
Jugendliche über 15 Jahre dürfen keine öffentliche Schule besuchen, ergo erhalten sie keinen SchülerInnenausweis und haben keinen Anspruch auf ein Jugendticket, mit dem Jugendliche üblicher Weise um knapp 100 Euro pro Jahr von A nach B reisen können. Dasselbe Geld müsste für ein Monatsticket aufgebracht werden, um z. B. von Seeham nach Salzburg zu fahren, von der Unterkunft zum Deutschkurs. Aber das kann sich kein Flüchtling leisten.
Beispiel 2:
Eine Lehrstelle darf nur in einem ausgewiesenen Mangelberuf ergriffen werden, bei einem negativen Asylbescheid muss sie abgebrochen werden. Das erschwert natürlich, eine Stelle zu finden. Dabei sind laut einer Umfrage der Wirtschaftskammer die ArbeitgeberInnen in hohem Maß mit der Leistung der jugendlichen Flüchtlinge zufrieden!
3. Akt – Das Kindeswohl hat Vorrang
Wenn die Jugendlichen mittels der umstrittenen Altersfeststellung von einem Tag auf den anderen für volljährig erklärt werden, müssen sie die Jugendeinrichtung sofort verlassen und werden in ein Erwachsenenquartier verlegt – oft weit entfernt von Bezugspunkten wie Schule, FreundInnen, PatInnen. Häufig folgt ein Ausbildungsabbruch aufgrund der zu großen örtlichen Distanz. Wären diese Jugendlichen keine Flüchtlinge, könnte die Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe bis zum 21. Lebensjahr fortgeführt werden. Weil sie es nicht sind, werden über Nacht alle Integrationsbemühungen und –erfolge zunichte gemacht. Dabei heißt es im Art. 1 BVG Kinderrechte: „Das Kindeswohl hat Vorrang bei allen staatlichen Maßnahmen.“
4. Akt - Armut
Bei Flüchtlingskindern ist es am deutlichsten sichtbar, wie rissig unser soziales Netz bereits ist. Aber auch andere Kinder fallen durch die Maschen durch. 400.000 sind in Österreich armutsgefährdet, fast jedes zehnte Kind ist arm. Diese Kinder können nicht mit zum Schulausflug, weil der Kostenbeitrag nicht aufzutreiben ist, sie sind mangelernährt oder dick, weil Geld für ein gesundes Essen fehlt, und immer wieder bleibt die Heizung auch im Winter kalt. Dabei gibt es nicht weniger Reichtum in diesem Land als früher, doch Arm und Reich klaffen auch im Sozialstaat Österreich immer weiter auseinander. Die Folgen werden uns alle beschäftigen.
5. Akt – Weihnachten
Meine Weihnachtswünsche für 2016 lauten:
- Kein Kind in einem Massenquartier
- Auch für 18- bis 21-Jährige Unterstützung für die Ausbildung sowie altersgerechte Betreuung in den Quartieren
- Anhebung der Mindestsicherungsrichtsätze für Kinder und Jugendliche auf den tatsächlichen Bedarf
- Menschenrechte und Solidarität als oberste Prämisse auf allen staatlichen Ebenen - sonst besteht frei nach Nikolaus Harnoncourt „… höchste Gefahr, dass Materialismus und Raffgier zur götzenhaften Religion unserer Zeit werden!"
- Frohe Weihnachten ALLEN Kindern in Österreich!
Ihre Andrea Holz-Dahrenstaedt
Salzburger Kinder- und Jugendanwältin