***Presseaussendungen Einzelansicht***

Khalil*

Ausschnitte aus dem Lebenslauf eines unbegleiteten Jugendlichen, wie sie sich 2016 in Österreich zugetragen haben könnten - basierend auf wahren Begebenheiten.

2014:

Die Ankunft:

Khalil  ist 16 Jahre alt. gemeinsam mit seiner um zwei Jahre jüngeren Schwester schafft er die lange Flucht von Afghanistan nach Österreich. Dort kommen sie zunächst in ein völlig überfülltes Massenquartier. Die Geschwister müssen im Hof des Lagers auf einem Pappkarton schlafen, es gibt keinerlei Rückzugsraum. Unter Tags ist es im Hof unerträglich heiß. Obwohl die Schwester noch schulpflichtig ist, können die Geschwister keine Schule besuchen. Auch sonst gibt es kein jugendgerechtes tagesstrukturierendes Angebot und keinerlei Betreuung.

Das Verschwinden:

An einem Morgen ist Khalils Schwester verschwunden. Sie hat kein Lebenszeichen hinterlassen, und das obwohl die Geschwister eng verbunden waren. Khalil ist in großer Sorge. Doch seine Nachfragen bleiben ungehört, seine Sucher erfolglos. Er bekommt kaum Unterstützung. Seine Sorge um die Schwester wird nicht ernst genommen. Das Bundesasylamt schließt die Akte seiner Schwester.

2015

Das Ankommen:

Nach drei Monaten im Massenquartier darf Khalil in ein Grundversorgungsquartier in ein anderes Bundesland übersiedeln. Sein neues zu Hause teilt er mit über zwanzig anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, im Zimmer sind sie aber nur zu viert. Hier gibt es BetreuerInnen, die für ihn zuständig sind. Sie sind freundlich und engagiert - aber immer sehr beschäftigt. 

  • Als Khalil schwere Zahnschmerzen bekommt, kann ihn aufgrund mangelnden Personals niemand in die Ambulanz begleiten. Dort kann sich Khalil, dem das österreichische Gesundheitssystem völlig fremd ist, nicht verständigen. Schließlich wird ihm der falsche Zahn gezogen.
  • In der Nacht wird Khalil von Alpträumen geplagt. Er kann stundenlang nicht einschlafen. Am Morgen ist er dann völlig gerädert und schafft es kaum zum Pflichtschulabschlusskurs. Er bräuchte dringend eine Therapie, doch das geht sich mit den Tagsätzen aus der Grundversorgung nicht aus.
  • Khalil ist sehr musikalisch. Oft singt er in der Küche den anderen Jugendlichen etwas vor. Er würde gerne Gitarrespielen lernen, doch dafür gibt es kein Geld.
  • Khalil ist ehrgeizig und möchte neben dem Pflichtschulabschluss einen Deutschkurs besuchen. Doch er hat kein Geld für die Buskarten zum Kurs. Eine Schülerfreifahrt wie andere Jugendliche in Österreich bekommt er nicht.

2016:

Ein Zuhause:

Khalil lebt sich gut in die WG und in Österreich ein. Er macht rasch Fortschritte beim Erlernen von Deutsch. Dabei hilft ihm auch eine ehrenamtliche Patin, die ganz in der Nähe seines Quartiers wohnt und ihn unterstützt. Er kann sogar die HAK besuchen und hat ein paar Freundschaften mit Jugendlichen aus Österreich geschlossen: Darauf ist er besonders stolz.

Der Rückschlag:

Mit seinem 18. Geburtstag muss Khalil aus der Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausziehen. Er kommt in ein Grundversorgungsquartier für Erwachsene in einer anderen Gemeinde. Dort muss er mit 20 anderen den Schlafsaal teilen. Die Probleme mit dem Einschlafen kommen zurück. In der Früh bekommt Khalil kein Frühstück, weil er schon um 6 Uhr aus dem Haus muss, um rechtzeitig um 8 Uhr in der Schule zu sein. Zum Mittagessen um 12 Uhr ist er aus der Schule noch nicht zurück. Abends findet er nirgends einen Rückzugsort, um seine Hausübungen zu machen. Auch seine Patin trifft er nur noch selten, zu weit ist der Weg zu ihr. In der Schule kommt Khalil bald nicht mehr mit – oft geht er gar nicht mehr hin …

Strukturelle Diskriminierung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge

In Khalils Leben wäre einiges anders verlaufen, wäre er vom ersten Tag seines Aufenthalts in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht gewesen:

  • Die Behörden würden alles daran setzen, seine Schwester zu finden;
  • Therapie würde ihm bezahlt werden;
  • Seine Talente würden gefördert werden;
  • Die Einrichtung, in der er wohnen würde, hätte genug Personal, um ihn zu kritischen Arztbesuchen oder Behördengängen zu begleiten;
  • Mitten in einer Ausbildung stehend könnte er bis 21 in der Jugendeinrichtung wohnen bleiben.

Tagsätze der Grundversorgung, die weit unter denen der Kinder- und Jugendhilfe liegen, stehen der Gleichbehandlung jedoch im Wege. Neben dem Artikel 2 der UN-Kinderrechtskonvention, wonach kein Kind diskriminiert werden darf, widerspricht dieses Vorgehen dem Artikel 6, wonach der Staat die bestmögliche Entwicklung eines Kindes sicherstellen muss.

Es kann nicht sein, dass die Obsorge, Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit derart eklatanten Unterschieden gehandhabt wird. Die Grundversorgung sollte – wie der Name schon sagt - die Basisversorgung abdecken, die Kinder- und Jugendhilfe als Obsorgeträger für das Wohl der Kinder und Jugendlichen zuständig sein. Was längst evident war ist nun durch das vorliegende Gutachten bestätigt: Nämlich dass die Kinder- und Jugendhilfe ab dem ersten Tag des Aufenthalts für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständig sein muss, nicht erst mit deren Anerkennung.

Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass sie in der Gesellschaft willkommen geheißen werden und ihr Schicksal nicht gleichgültig ist. Dann können und wollen sie teilnehmen und beitragen. Keine Zukunftschancen haben und ausgeschlossen bleiben, kränkt jedoch und macht krank. Darüber hinaus steigt bei entwurzelten Jugendlichen die Gefahr, auf den falschen Weg zu geraten.

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