Petiton zur psychischen Kindergesundheit

„Eine Gesellschaft, die zukunftsfähig sein will, ist auf die Gesundheit ihrer Kinder dringend angewiesen. Bestmögliche "Förderung der Gesundheit von Anfang an gehört zu den Grundrechten aller Kinder.“ (1)

Der Kinder- und Jugendgesundheit wird seit einigen Jahren von der Politik größere Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere durch die auch in Österreich ratifizierte Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen wurde das Recht von Kindern und Jugendlichen auf ein Höchstmaß an möglicher Gesundheit formal festgeschrieben (Art. 24 UN-Kinderrechtskonvention). Dieser Umstand bringt auch zum Ausdruck, dass Kinder- und Jugendliche in besonderer Weise schutzbedürftig sind und die gesellschaftliche Verantwortung ihnen gegenüber groß ist. Bei den nun im Juni 2011 beginnenden Planung der Salzburger Landesregierung zur „Psychosozialen Versorgung – Planung NEU“ ist den psychosozialen Entwicklungschance für Kinder und Jugendliche im Bundesland Salzburg ein besonderes Augenmerk zu schenken.

Die Risikofaktoren für Gesundheit und Entwicklung sowie die Morbidität von Kindern und Jugendlichen haben sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert. Waren es früher die klassischen Infektions- und Mangelerkrankungen, welche Gesundheit und Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen hauptsächlich bedroht haben, so sind heute an deren Stelle andere Risiken und Gefährdungen getreten. International ist eine stete Zunahme von psychosozialen Integrations- und Regulationsstörungen (wie frühe Bindungs- und Beziehungsstörungen, seelische und körperliche Vernachlässigung oder Misshandlung, Depression, Angst, Suchtverhalten, Erziehungsunsicherheit etc.) zu beobachten. Ebenso steigend sind chronische Entwicklungsstörungen (z. B. Sprach- und Lernstörungen, chronische Entwicklungsbeeinträchtigungen und Behinderungen, autistische Erkrankungen etc.) sowie Lebensstilerkrankungen (wie Bewegungsmangel, Haltungsschäden, Fehlernährung etc.) und deren Folgen.

Vorschläge zur Verbesserung


Die Arbeitsgruppe „Psychosoziale Kinder- und Jugendgesundheit“ hat sich mit der aktuellen Lage der psychosozialen Versorgung befasst und sieht in folgenden Bereichen einen dringlichen Handlungsbedarf:

  1. Gemeinsamer politischer Wille. Wir fordern alle Politikerinnen und Politiker und insbesondere die Mitglieder der Salzburger Landesregierung auf, ihren gemeinsamen eindeutigen politischen Willen zu erklären, sich für die Förderung einer  kinderfreundlichen Gesellschaft einzusetzen und dadurch zur messbaren Verbesserung der psychosozialen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen im Bundesland Salzburg beizutragen.
  2. Koordinationsbüro Kinder- und Jugendgesundheit. Kinder- und Jugendgesundheit ist eine Querschnittmaterie, welche die „willkürlichen“ Ressortgrenzen zwischen Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen ständig überschreitet. Ein umfassender Gesamtplan scheitert im lebenspraktischen Alltag oftmals an der Unkoordiniertheit diverser Zuständigkeiten und Finanzströme. Hierfür bräuchte es eine Ressort übergreifende Kinder- und Jugendgesundheitspolitik, wenn möglich mit Finanzierung aus einer Hand, die durch ein Koordinationsbüro umgesetzt wird. 
  3. Gesundheitsdaten unserer Kinder und Jugendlichen. Um gesundheitspolitische Entscheidungen und Planungen zielorientiert vornehmen können, ist es dringend erforderlich, Daten zur psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (eventuell nach dem Vorbild in Deutschland) standardisiert und periodisch zu erheben. Dabei ist auf geschlechtsspezifische Besonderheiten zu achten. Die erhobenen Daten  werden veröffentlicht und dienen als Basis zur Bedarfsplanung und fungieren als Indikator für die Wirksamkeit von gesetzten Maßnahmen.
  4. Qualitätssicherung und Diversity-Kriterien. Einrichtungen und Maßnahmen zur psychosozialen Kinder- und Jugendgesundheit (präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen sowie intra- und extramurale Einrichtungen) müssen von der Planungsphase bis zur Evaluation qualitätsgesichert und nach Diversity-Kriterien umgesetzt werden. Ebenso sind die Prinzipien des Empowerment unter Einbezug theoretischer Gesundheitsmodelle (zB Salutogenese-Modell von Antonovsky) zu beachten.
  5. Sicherung der psychosozialen Kompetenz des Personals. Insbesondere in helfenden, lehrenden und heilenden Berufen gehört ein gesteigertes Maß an.psychosozialer Kompetenz zur Quali¬fikation (Lebenskompetenz bzw. Selbstkompetenz einerseits und die soziale Kompetenz zur Begleitung, Entwicklung oder Heilung andrerseits). In der Aus- und Weiterbildung von Personen, die in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen tätig sind, ist sicherzustellen, dass sowohl in Theorie und Praxis der Erwerb von psychosozialer Kompetenz integraler Bestandteil ist.
  6. Ausbau von Angeboten aufsuchender Kinder- und Jugendarbeit. Nach unserer Überzeugung muss Prävention und Gesundheitsförderung möglichst früh ansetzen, denn in jungen Jahren wird das Fundament für ein gesundes Leben gelegt. Gerade bei Kindern und Jugendlichen aus Risikofamilien müssen die Angebote der aufsuchenden Kinder- und Jugendarbeit im präventiven, akuten und Nachbetreuungsbereich weiter ausgebaut und bedarfsgerecht finanziert werden.

Dringende Maßnahmen

  • Aufbau und Ausbau von Netzwerken aufsuchender Früher Hilfen für Eltern und Kinder sowie soziale Frühwarnsysteme;
  • Case Management für Familien;
  •  Nachbetreuungseinrichtung für über 18-jährige Jugendliche;
  • Stationäres Angebot und Nachbetreuungsmöglichkeit für Mütter mit psychischer Erkrankung und deren Kinder;
  • Wohneinrichtungen für Jugendliche mit psychiatrischer Erkrankung oder Suchtproblematik;
  • Niederschwellige tagesstrukturierte Einrichtung mit sinnvollem Beschäftigungsangebot (geschlechtsspezifisch);
  • Schaffung eines mobilen Kriseninterventionsteams (bei Gewalt, Scheidung, Suizid, Unfall etc.);
  • Berücksichtigung der Interkulturalität (Information sowie Therapieangebote in vielfältigen Sprachen in Form einer Interkulturellen Ambulanz);
  • Maßnahmen gegen Zwangsverheiratung von Mädchen mit Migrationshintergrund, (rasche, adäquate Schutzmöglichkeiten);
  • Kinderärztedatenbank;
  • Externe, unabhängige Vertrauenspersonen für fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche;
  • Übergangsbetreuung von Kindern und Jugendlichen (vom stationären in den ambulanten Bereich);
  • Umfassende Gewaltprävention (Elternhaus, Schule etc.);
  • Umfassendes Präventionsprogramm im Bereich legale und illegale Drogen.

1 „Ein guter Start ins Leben“, Berlin im Mai 2006