Die Kinder- und Jugendanwaltschaften (KIJAS) Österreich nehmen aus aktuellem Anlass – bundes- und landesweite Diskussion über eine mögliche Deckelung – Stellung. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung ist ein Instrument der Armutsbekämpfung und der Absicherung menschlicher Grundbedürfnisse. Für die KIJAS ist es unerlässlich, dass hilfebedürftige Kinder, Jugendliche und deren Familien in ausreichender Höhe, rasch und zuverlässig Unterstützung erhalten.
Deckelung der Mindestsicherung
Dem Vorhaben zur Deckelung der Mindestsicherung bei Mehr-Kind-Familien stehen die KIJAS ablehnend gegenüber. Eine derartige Kürzung würde sich insbesondere auf die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder auswirken und die Armutsgefährdung dieser Familien/Kinder zusätzlich verstärken (beispielsweise wären allein in Vorarlberg ca. 700 Kinder von einer Deckelung betroffen). Es erhöhen sich erfahrungsgemäß die Lebenshaltungskosten auch mit der Anzahl der zu versorgenden Kinder. Ebenso steigen die Lebenshaltungskosten mit zunehmendem Alter der Kinder. Dieser Umstand findet sowohl in der Familienbeihilfe vorgesehenen Altersstaffelung und den Mehr-Kind-Zuschlägen gemäß Familienlastenausgleichsgesetz, als auch in den Regelbedarfssätzen im Kindesunterhalt Berücksichtigung. Die Einführung einer Altersstaffelung für Kinder in der Mindestsicherung und die Erhöhung der Mindestsicherungssätze mit zunehmendem Alter der Kinder sind Forderungen der KIJAS. Ohne die diskutierten Regelungsvorschläge zur Mindestsicherung genau zu kennen, möchten wir in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass eine Deckelung der Mindestsicherung auch verfassungsrechtlich bedenklich scheint und im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz fragwürdig ist.
Auch auf das BVG-Kinderrechte sei an dieser Stelle hingewiesen: Gem. Art 1 hat jedes Kind Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung, sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen die Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Im Falle einer Deckelung der Mindestsicherung bei Mehr-Kind-Familien wird das Kindeswohl nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.
Kürzung der Mindestsicherung – Zwei-Klassen-Gesellschaft
Ebenfalls kritisch betrachten die KIJAS das Vorhaben, die Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte und befristete Asylberechtigte zu kürzen. Die Mindestsicherung gegenüber dem angeführten Personenkreis zu kürzen scheint bedenklich. Die Mindestsicherung hat den Zweck, die notwendigen Hilfen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens sicherzustellen. Die Lebenshaltungskosten sind in Österreich für alle hier lebenden Menschen gleich hoch. Eine sachliche Begründung für eine Kürzung lässt sich nach Meinung der KIJAS nicht finden. Ebenfalls wären von solchen Maßnahmen auch Familien und deren Kinder negativ betroffen. Auf völkerrechtlicher Ebene besteht gemäß Artikel 3 der UN-Kinderrechtekonvention die Verpflichtung zur Beachtung des Kindeswohles. Artikel 2 der Konvention sieht vor, dass sämtliche in ihr verbürgten Rechte auf alle Kinder unterschiedslos, d.h. ohne Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status angewendet werden müssen. Daraus ergibt sich, dass das Kindeswohl auch bei subsidiär schutzberechtigten Kindern und Jugendlichen oder Kindern und Jugendlichen mit befristeter Asylberechtigung eine vorrangige Erwägung sein muss, sodass bei allen Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohles derselbe Maßstab anzuwenden ist, wie auf einheimische Kinder. Auch auf Art 1 BVG-Kinderrechte sei an dieser Stelle hingewiesen.
Antragsrecht für mündige Minderjährige
Es gibt verschiedene Gründe (z. B. Vernachlässigung, Gewalt), weshalb Jugendliche nicht im selben Haushalt mit ihren Obsorgeberechtigten leben können und gleichzeitig mittellos sind. Manche von ihnen werden auch nicht in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betreut. Diese schwierige Situation mündiger Minderjähriger muss auch im MSG bzw. in der MSV berücksichtigt werden. Gemäß § 37 MSG kann jeder Hilfsbedürftige in seinem Namen Mindestsicherung beantragen. Die allgemeinen Regelungen über die Vertretung bleiben unberührt. Damit verweist § 37 MSG auf § 9 AVG, der wiederum in Bezug auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit auf das bürgerliche Recht verweist. Mündige Minderjährige sind nicht voll geschäftsfähig und können deshalb nach den angeführten Bestimmungen keine eigenständigen Anträge auf Mindestsicherung stellen. Die KIJAS regen deshalb an, die Möglichkeiten eines Antragsrechtes für mündige Minderjährige in sozialen Härtefällen im MSG zu prüfen und entsprechende Regelungen vorzusehen. Weiters möchten wir auf die in Tirol und der Steiermark geltenden Mindestsicherungsvorschriften hinweisen und eine entsprechende Regelung für alle Bundesländer anregen:
So ist im § 5 Abs 4 Tiroler Mindestsicherungsgesetz und im § 10 Abs 1 Steirisches Mindestsicherungsgesetz ein Mindestsicherungssatz für alleinstehende (mündige) Minderjährige vorgesehen. Auch diese beiden Gesetze sehen vor, dass die Mindestsicherung auf Antrag oder von Amts wegen zu gewähren ist. Eine amtswegige Genehmigung der Mindestsicherung erfolgt in Tirol und der Steiermark häufig über Anregung der Kinder- und Jugendhilfe. Die Auszahlung der Mindestsicherung erfolgt direkt an die minderjährige Person. Der Mindestsicherungssatz richtet sich dabei nach den Sätzen für alleinstehende bzw. alleinerziehende Personen.
Für alleinstehende mündige Minderjährige die schwerwiegende soziale Situationen zu meistern haben, regen die KIJAS deshalb an, in der MSV entsprechende Mindestsicherungssätze vorzusehen und diese jenen für alleinstehende und alleinerziehende Personen anzupassen, sowie eine Auszahlung der Mindestsicherung an mündige Minderjährige zu ermöglichen.
Sozial schwerwiegende Situationen sind beispielsweise, dass Jugendlichen nicht mehr zugemutet werden kann, weiterhin im Elternhaus zu wohnen (schwerwiegende Kinder- und Jugendhilfeindikationen). Der Anspruch auf Mindestsicherung würde Jugendlichen in besonderen Notlagen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.