Seit mehr als 30 Jahren setzt sich die Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg für bessere Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein. „Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten etliche Verbesserungen für junge Menschen erreicht werden konnten, gibt es nach wie vor viele kinderrechtliche Baustellen“, so heute, Donnerstag, 20. Juni, die seit März dieses Jahres amtierende neue Kinder- und Jugendanwältin Johanna Fellinger in einem Pressegespräch in Salzburg.
Gemeinsam mit Vertreter:innen des 15-köpfigen kija-Teams nannte sie konkret das häufig mangelnde Bewusstsein für die Kinderrechte, die mangelhafte Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und insbesondere Defizite bei den Themen Chancengleichheit und Schule. „Vor allem in diesen Bereichen wollen wir unsere Kräfte und Kompetenzen bündeln, um weitere notwendige Veränderungen anzustoßen und für gerechtere Lebensbedingungen zu sorgen“, ist sich das multiprofessionelle kija-Team einig.
Jungen Menschen auf Augenhöhe begegnen
„Eine wesentliche Aufgabe der kija ist es, eine starke Stimme und eine Lobby für alle jungen Menschen bis 21 Jahre im Bundesland Salzburg zu sein“, betont die neue Kinder- und Jugendanwältin. Von der Gesellschaft und der Politik wünscht sie sich mehr Verständnis für die Anliegen der Jugend, für deren Weltanschauungen und Subkulturen und vor allem, dass jungen Menschen auf Augenhöhe begegnet wird.
Dass es noch sehr viel Aufholbedarf in Sachen Kinderrechte gibt, weiß Fellinger aus eigener Erfahrung: So war sie in ihrer langjährigen Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe regelmäßig mit gravierenden Kinderrechtsverletzungen – z.B. durch körperliche oder sexuelle Gewalt – konfrontiert. Seit ihrem Wechsel in die Kinder- und Jugendanwaltschaft wurde ihr zudem bewusst, dass Gesellschaft und Politik die Wirkungsbreite von Kinderrechten häufig nicht im Bewusstsein verankert haben. Kinderrechte würden vielfach als Privilegien verstanden, die „Kind“ sich erst verdienen müsse. „Vielen fehlt auch das Bewusstsein, dass etwa Demütigungen, Abwertungen, lächerlich machen oder in Furcht versetzen Formen von psychischer Gewalt darstellen und damit ebenso unter das allgemeine Gewaltverbot fallen. Allzu oft werden Kinder von oben herab behandelt und ihre Meinung nicht ausreichend berücksichtigt“, kritisiert die Kinder- und Jugendanwältin.
Die kija werde auch immer wieder mit der Meinung konfrontiert, dass man Kinder mehr über ihre Pflichten als über ihre Rechte belehren müsse. In diesem Zusammenhang zitiert Fellinger eine kija-Mitarbeiterin, die in einem Schulworkshop eine diesbezügliche Frage so beantwortete: „Das Gegenteil von Recht ist nicht Pflicht, sondern Unrecht. Und sind wir uns einig, dass wir Unrecht Kindern und Jugendlichen gegenüber alle nicht wollen.“
Kinderrechte effektiv verankern
Defizite ortet die kija auch bei der gesetzlichen Verankerung der Kinderrechte: Zwar hat Österreich 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, von den rund 40 Rechten der Kinderrechtskonvention wurden bisher aber nur eine Handvoll im Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern verankert. Nicht umgesetzt wurden zum Beispiel das Recht auf bestmögliche Gesundheit, auf angemessenen Lebensstandard oder auf Spiel und Freizeit.
Die kija Salzburg fordert:
- Die vollständige Umsetzung der in der UN-Kinderrechtskonvention enthaltenen Rechte in innerstaatliches Recht, damit diese in Österreich unmittelbar gelten.
- Die Ratifikation des 3. Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention, damit Kinder die Möglichkeit einer „Individualbeschwerde“ an den Kinderrechteausschuss mit Sitz in Genf haben, wenn ihre Rechte verletzt worden sind.
Lebensraum Schule: Zentrale Mobbingstelle, Gesundheitsteams
Seit Jahren sind Probleme rund um die Schule, wie etwa Mobbing, Suspendierungen, psychische Belastungen oder zu hoher Leistungsdruck, Spitzenreiter bei den Beratungsfällen in der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Besonders gefordert ist die kija bei Mobbing, Bossing, Cypermobbing: 499 entsprechende Einzelfälle wurden im Vorjahr in der kija registriert, die kija-Expert:innen haben die meisten ihrer Schulworkshops zu diesem Thema gehalten. „Die personellen Ressourcen reichen jedoch fast nur noch für Interventionsangebote aus, es bräuchte jedoch auch dringend Präventionsarbeit“, so kija-Psychologin Janina Schönleben. Erschwerend sei außerdem, dass die kija von den Schulen und Betroffenen oft zu spät ins Boot geholt werde. Dann sei die Situation schon so verfahren, dass nur noch wenig für die Betroffenen getan werden könne.
Ein weiteres großes Manko im Lebensraum Schule zeigt Schönleben auf: „Es gibt deutlich zu wenig Unterstützungsangebote für Lehrende und Schüler:innen, um mit diesen multiplen Problemlagen umzugehen. So können beispielsweise Schulpsycholog:innen, die nur alle zwei Wochen für eine Stunde vor Ort sind, den Bedarf nicht decken und werden auch nicht als Ansprechperson wahrgenommen. Für Kinder und Jugendliche, die auf Grund von körperlichen oder psychischen Erkrankungen (zeitweise) nicht in die Schule gehen können, gibt es keine Alternative zum regulären Unterricht.“
Auch wenn es bereits viele Angebote und engagierte Fachkräfte gibt, herrsche im Schulbereich dringender Handlungsbedarf, so Schönleben.
Die kija Salzburg fordert:
- Eine grundlegende Schulreform, die den Anforderungen einer zeitgemäßen kindgerechten und kinderrechtsfreundlichen Schule entspricht.
- Eine eigene Mobbing-Beratungsstelle für das Land Salzburg als niederschwellige Anlaufstelle sowohl für Kinder und Jugendliche, Eltern als auch für Schul-Fachkräfte.
- Auf- und Ausbau von psychosozialen Unterstützungsstrukturen an den Schulen: Gesundheitsteams, bestehend aus Schulsozialarbeiter:innen, Schoolnurses, Schulärzt:innen und Schulpsycholog:innen, als integrierter Bestandteil an allen Schulen, um Sorgen, Probleme und psychische Belastungen der Kinder und Jugendlichen, aber auch Themen wie Mobbing niederschwellig abzufangen bzw. bei drohenden Suspendierungen rechtzeitig zu unterstützen.
- Online-Ersatzunterricht für Kinder und Jugendliche, denen es z.B. aufgrund von Suspendierung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, am Unterricht teilzunehmen.
Chancengleichheit: Kinderarmut bekämpfen
Es spielt keine Rolle, welches Alter Kinder haben, in welchen Familien und wo sie aufwachsen, ob sie gesund sind oder eine körperliche oder psychische Beeinträchtigung haben: Alle Kinder haben dieselben Rechte. Die Realität sieht jedoch anders aus, denn Kinder und Jugendliche sind immer öfter durch strukturelle Nachteile wie Kinderarmut, psychische Erkrankungen oder Behinderungen benachteiligt. Kinderrechtlich besonders problematisch wird es, wenn Kinder von mehreren dieser Belastungen betroffen sind.
Laut Statistik Austria sind 88.000 Kinder und Jugendliche österreichweit von absoluten Armutslagen betroffen. Die Auswirkungen von Armut sind multidimensional und führen zu einem Machtungleichgewicht in vielen Lebensbereichen, wie etwa bei der sozialen Anerkennung, Bildung, Gesundheit, Möglichkeiten der Teilhabe am sozialen Leben und Würde. „Dem Kampf gegen Kinderarmut muss von allen politischen Entscheidungsträger:innen die höchste Priorität eingeräumt werden“, ist Sebastian Burger, Pädagoge in der kija, überzeugt.
Die kija Salzburg fordert:
- Die Einführung einer Kindergrundsicherung und die Anhebung der Sozialunterstützungsrichtsätze für Kinder, damit Kinderarmut treffsicher und effektiv begegnet werden kann.
Schutz und Gleichbehandlung von Kindern mit Beeinträchtigungen
Wenn ein Kind mit einer Beeinträchtigung lebt, dann sind deren Familien besonders oft mit hohen finanziellen Belastungen konfrontiert. Einschränkungen im Lebensalltag betreffen diese Kinder aber in besonderem Maße, da sie ohnehin aufgrund der Beeinträchtigung in der Teilnahme am Gemeinschaftsleben benachteiligt sind. Die kija ortet Handlungsbedarf bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrs, bei Kultur-, Sport-, und Ferienangeboten sowie der Barrierefreiheit, betont Burger.
Die kija Salzburg fordert:
- Kostenlose Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bis 15 Jahre, da gerade für diese Personengruppe Mobiliät eine große Rolle spielt und Jugendliche dadurch wesentlich mehr Selbstvertrauen gewinnen können.
- Kostenloser Besuch von Museen und anderen kulturellen Einrichtungen, da auch für verminderte Eintrittspreise oft nicht genug Geld vorhanden ist, um Angebote mehrfach gut zu nützen. Denn Kinder mit Beeinträchtigung sind oft nicht in der Lage, ein Angebot an einem Tag zu nutzen, daher sind kürzere, dafür aber häufigere Besuche notwendig.
- Flächendeckender Ausbau der Angebote von Sport- und Freizeitvereinen sowie von Ferienangeboten, die auf die Bedürfnisse von Kindern mit Beeinträchtigung ausgerichtet sind. Den Erfahrungen der kija nach sind Kinder und Jugendlichen in ländlichen Räumen besonders benachteiligt.
- Nach wie vor ist Barrierefreiheit nicht überall gegeben, es sollten auch die letzten Hürden aus dem Weg geräumt werden.
Ausbau des Angebotes bei Besuchsbegleitung und Kinderbeistand
Die kija weist auch auf die mangelnden finanziellen und personellen Ressourcen bei der Besuchsbegleitung und beim Kinderbeistand in Pflegschaftsverfahren hin: Die Besuchsbegleitung hilft Kindern, weiterhin Kontakt zu beiden Elternteilen zu haben, auch wenn es massive Konflikte zwischen den Eltern (z.B. wegen einer Scheidung bzw. Trennung) gibt oder das Kindeswohl, etwa wegen einer psychischen Erkrankung eines Elternteils, geschützt werden muss. „In Salzburg gibt es zu wenige Organisationen, die eine professionelle Hilfestellung sowie einen sicheren Rahmen für die Kinder bieten können. Wenige Anbieter bedeuten lange Wartezeiten, mitunter bis zu einem halben Jahr, wodurch das Recht der Kinder auf regelmäßige Kontakte zu ihren Eltern verletzt wird. Auch die Eltern leiden oft in dieser angespannten Situation“, bemängelt kija-Pädagogin und Sozialarbeiterin Marion Wirthmiller.
Auch der Mangel an Fachkräften beim Kinderbeistand sei eklatant. Dieser fungiert als Sprachrohr für Kinder, die von einer Scheidung oder Trennung ihrer Eltern betroffen sind, und bietet einen neutralen und konfliktfreien Raum an. Dafür benötigt es speziell geschulte Fachkräfte, von denen es im ländlichen Raum jedoch viel zu wenige gibt. Wirthmiller: „So bleibt vielen Kindern die Möglichkeit verwehrt, ihre Stimme im Verfahren einzubringen und in dieser belastenden Zeit von einer Vertrauensperson begleitet zu werden.“
Die kija Salzburg fordert:
- Die Aufstockung der Fördergelder für geschützte Besuchskontakte sowie eine unbefristete Förderung der Besuchsbegleitung für jene Fälle, wo dies aus kinderrechtlicher Sicht notwendig ist.
- Maßnahmen des Bundes, damit mehr Fachpersonal für die Tätigkeit als Kinderbeistand im Pflegschaftsverfahren zur Verfügung steht, z.B. durch die Übernahme der Kosten für die erforderliche Ausbildung oder durch die Abgeltung von Fahrtkosten und -zeiten eines Kinderbeistands.
Schutz und Unterstützung für geflüchtete Kinder
Abschließend erinnert Kinder- und Jugendanwältin Johanna Fellinger an den heutigen Weltflüchtlingstag: „Kinderrechte sind unteilbar, sie stehen allen unabhängig von ihrer Herkunft und Nationalität zu. Jedoch erfüllt Österreich in vielen Bereichen seine Schutzpflichten nicht ausreichend. Die kija Salzburg wird sich weiterhin für die Stärkung der Rechte von Kindern mit Fluchterfahrung einsetzen.“