„Gesetz ist Gesetz“

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen."

Artikel 1, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Symbolbild: Julien Harneis / flickr

Wanja und Mohamad, 15 und 18 Jahre, stehen stellvertretend für 100te Kinder und Jugendliche, die in Österreich nach einer lebensbedrohlichen Flucht ihre zweite Heimat gefunden haben und gezwungen sind, sie wieder zu verlassen. bzw. von Abschiebung bedroht sind.

Was das für sie bedeutet? Unvorstellbare Angst, Verzweiflung, tonnenschwere Sorgen, das Begraben von Hoffnung auf ein Leben in Frieden, Sicherheit und Gleichberechtigung, Dauerstress, Ungewissheit, Albträume, Depression, Resignation, Suizidalität.
Im Fachjargon: Typ-II-Traumata.

Für ihr soziales Umfeld: Angst, Sorge, Wut, Ohnmachtsgefühl, Trauer, Verlust von liebgewonnenen FreundInnen, MitschülerInnen, KollegInnen, von nahestehenden Menschen.
Im Fachjargon: Sekundärtraumatisierung.

Für die Wirtschaft: Vergeudung von Ressourcen, Verlust hoch motivierter Arbeitskräfte.
Im Fachjargon: Ökonomisch ineffizienter Mitteleinsatz.

Für die Gesellschaft: Neben dem Verlust dringend benötigter Steuerzahlerinnen der Verlust von Solidarität, Würde und Mitgefühl mit einer gesamtgesellschaftlichen Verunsicherung und Verrohung als Folge!

Aber „Gesetz ist Gesetz“, lautet der reflexartige Stehsatz. Und es stimmt. Gesetze sind da, um das Zusammenleben einer Gesellschaft in einem Land zu regeln, den völkerrechtlichen Normen entsprechen. Diese lauten: „Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben das Recht auf besonderen Schutz und Beistand durch den Staat“ oder „das Kindeswohl ist bei allen staatlichen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen“

DAS ist geltendes internationales, zum Teil bundesverfassungsgesetzliches und damit höherstehendes Recht!

Österreich hat sich zur Einhaltung durch die Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention vor knapp 30 Jahren verpflichtet. Alle anderen Gesetze haben sich daran zu orientieren. Wer diesen menschenrechtlichen Rahmen verlässt, verwirkt das Recht, auf Rechtsstaatlichkeit zu pochen.

Als Kinder- und Jugendanwältin appelliere ich dringend an die politisch Verantwortlichen, bei Gesetzgebung und Verwaltungspraxis die menschen- und kinderrechtlichen Vorgaben einzuhalten und bedanke mich bei allen, die sich für Lösungen im Sinne der jungen Menschen und unserer Gesellschaft nach wie vor und immer wieder so engagiert einsetzen.

Andrea Holz-Dahrenstaedt