Gewalt hat viele Gesichter

Gewalt in Institutionen" – Leitfaden für gewaltfreie (sozial-)pädagogische Einrichtungen.

Kinder und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt studiert ein Gesetzesbuch.

Bild: Real exisiterende externe Vertrauenspersonen für fremduntergebrachte Kinder können weder durch Plakate, noch durch eine Hotline, ersetzt werden

Ein besonders schreckliches Gesicht von Gewalt ist jenes, das im letzten Monat bzw. im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen geriet: Demütigung, körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen in kirchlichen und staatlichen Internaten (Heimen), ausgehend von Menschen, denen Kinder und Jugendliche (behördlich) anvertraut wurden, um sie zu schützen und zu stärken! Die erschreckenden Erfahrungsberichte vieler Opfer bildeten den Ausgangspunkt für eine beim Familienministerium angesiedelte ExpterInnen-Arbeitsgruppe , um auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention einen verbindlichen Leitfaden für gewaltfreie (sozial-)pädagogische Einrichtungen zu erstellen. Ziel war, aus den Fehlern der Vergangenheit lernend und aufbauend auf aktuellen Erkenntnissen, die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Fremdpflege zu stärken und besser zu gewährleisten. Bei der Enquete "Gewalt hat viele Gesichter" des Familienministeriums am 21. November 2011 in Wien wurde neben der neusten Gewaltstudie mit alarmierenden Ergebnissen u. a. auch dieser Leitfaden präsentiert. 

"Es hat mir keiner geglaubt"

Auf die Frage, was ihnen geholfen oder was sie sich gewünscht hätten, antworteten ehemalige Betroffene übereinstimmend, jemanden der mit ihnen alleine, direkt und vertraulich nicht nur mit den Pflegeeltern oder den BetreuerInnen gesprochen hätte. Aber auch in aktuellen Fällen zeigt sich, wie wichtig diese Vertrauenspersonen für Kinder, die aus verschiedensten Gründen nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, sind: Denn oft trauen sich die Kinder wegen eines Loyalitätskonflikts zwischen Einrichtung und Familie oder aus Unsicherheit oder Angst nichts zu sagen oder fragen. Daher lautet die wichtigste Forderung des Leitfadens:

"In unserer Einrichtung werden eine interne Vertrauensperson (Ombudsperson) und eine externe Ansprechstelle (Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes) bekannt gemacht, an die sich alle Kinder und Jugendlichen in Konfliktfällen wenden können."(Punkt 3 des Leitfadens)

Es braucht externe Vertrauenspersonen

Die Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen Funktion liegt - neben der positiven Haltung der Einrichtung - auf dem Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu Ombudspersonen, an die sich Kinder und Jugendliche mit kleineren und größeren Problemen wenden können, die sie – aus welchen Gründen auch immer – innerhalb der Wohngemeinschaft oder des Heims nicht ansprechen können oder bei denen sie das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden. Auch Universitätsprofessor Stefan Hopmann  bestärkt die Bedeutung von externen Vertrauens-personen: "Denn es wäre eine Illusion zu glauben, - auch wenn sich vieles in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, -  pädagogisch bedenkliche Handlungen bis hin zu Gewalthandlungen an fremduntergebrachten Kindern gehörten gänzlich der Vergangenheit an."

Die Ursachen dafür sind vielfältig: Mangelhafte Rahmenbedingungen (wie etwa niedriger Betreuungsschlüssel), persönliche Überforderung oder Systemfehler können zu Fehlhandlungen führen. Jedes System hat seine Schwachstellen und je geschlossener ein System ist, umso größer ist die Gefahr von blinden Flecken. Durch regelmäßige Kontakte zwischen den Kindern und den ihre Interessen wahrnehmenden Ombudspersonen soll Vertrauen aufgebaut werden, damit es im Notfall auch genutzt werden kann. Wichtig dabei ist, dass dieses Angebot "niederschwellig" ist. Für verunsicherte Kinder ist schon zum Telefonhörer greifen unter Umständen zu viel verlangt.

KIJAs als Ansprechpartner für fremduntergebrachte Kinder

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs sind in allen Bundesländern vertreten und standen und stehen mit ihrer langjährigen Kompetenz als Ombudsstellen für alle Kinder und Jugendlichen selbstverständlich auch für die Zielgruppe der Fremduntergebrachten zur Verfügung. Um diese Aufgabe allerdings im Sinne des Leitfadens bzw. der betroffenen Kinder und Jugendlichen bestmöglich erfüllen zu können, braucht es politischen Konsens, eine gesetzliche Absicherung sowie ausreichende Ressourcen.

Plakate ersetzen keine Vertrauensperson

Weder aufgrund eines Plakats noch einer neuen Hotline werden sich Kinder und Jugendliche melden. Wenn es nicht gelingt, vor Ort in den Einrichtungen präsent zu sein und mit diesen eine gute Kooperation zu etablieren, bleiben Telefonnummern, Plakate oder auch unangemeldeter Besuche der Volksanwaltschaft eine nette Geste. Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs sind massiv besorgt, dass mit den angekündigten Handlungen der Eindruck erweckt werden soll, als sei den Kinderrechten damit genüge getan. Denn: Vertrauen ist eine Voraussetzung, damit sich Kinder mit ihren Sorgen früh genug Hilfe holen!

Es gibt Kinder, die haben einen schwierigeren Start ins Leben als andere Kinder. Zu diesen Kindern gehören fremduntergebrachte Kinder. Sie brauchen besonderen Schutz, damit ihre Rechte nicht verletzt werden, wie es seit heuer auch in der österreichischen Bundesverfassung verankert ist1.

Leifaden für gewaltfreie Lebensräume


1 BVG, Art 2: "Jedes Kind, das dauernd oder vorübergehend aus seinem familiären Umfeld herausgelöst ist, hat Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates."