Bedenkliches beschleunigtes Strafverfahren

Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Jugendgerichtsgesetz 1988, das Suchmittelgesetz, das Staatsanwaltsgesetz, das Geschworenen- und Schöffengesetz 1990 und das Gebührenanspruchsgesetz geändert werden (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014).

Zu Z 1, 2, 3, 12, 13 und 16 (§§ 1 Abs. 2 und 3, 2 Abs. 1, 48 Abs. 1 und 2, 91 Abs. 2)

Die beabsichtigte Einführung des Begriffs „Anfangsverdacht“ und der klaren
Unterscheidung zwischen einer verdächtigen Person und eines Beschuldigten scheint uns insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung der betroffenen Personen in der Öffentlichkeit wichtig und gelungen. Gerade Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in die Berufswelt einsteigen, kann ihr zukünftiger Weg durch falsche öffentliche Brandmarkung massiv erschwert werden. Ob der Allgemeinheit jedoch in Zukunft klar sein wird, dass bei einem Verdächtigen im Unterschied zu einem Beschuldigten erst eine „vage“ Verdachtslage besteht, die einer weiteren Konkretisierung bedarf, bleibt wohl abzuwarten. Unserer Ansicht nach wird es hier wohl einige Aufklärungsarbeit benötigen, insbesondere auch im Hinblick auf eine richtige Berichterstattung der Medien, um ein etwaiges Verschwimmen dieser Begriffe zu verhindern.

Zu Z 4, 9, 29, 30, 31 und 32 (§§ 26 Abs. 2, 37 Abs. 2, 204 Abs. 1 und 3, 205 Abs. 2 und 5)

Wir begrüßen die Intention des Gesetzgebers, Maßnahmen zur Belebung des
außergerichtlichen Tatausgleichs zu ergreifen, da insbesondere Jugendliche in den Genuss diversioneller Maßnahmen kommen sollten, um einerseits ihr
Unrechtsbewusstsein zu stärken und sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalte, und andererseits nicht ihr – insbesondere berufliches - Fortkommen durch eine Eintragung im Strafregister zu erschweren. Hierfür stellt das Instrument des außergerichtlichen Tatausgleichs, insbesondere aufgrund seines spezialpräventiven Charakters, sicher eines der geeignetsten Mittel dar.

Zu Z 5, 17, 18 und 46 (§§ 31 Abs. 1, 108 Abs. 2, 108a, 516 Abs. 10)

Äußerst erfreulich ist, dass nun auch endlich auf die schon seit vielen Jahren
bestehende öffentliche Kritik bezüglich der Verfahrensdauer von Ermittlungsverfahren reagiert wird. Die nun vorgesehene Höchstdauer von drei Jahren gegen bekannte Täter scheint insbesondere auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte und wohl häufig verletzte Recht der betroffenen Person auf eine angemessene Verfahrensdauer richtig. Die oft jahrelang andauernden Ermittlungsverfahren stellen für die betroffenen
Personen – egal ob jung oder alt – eine unerträgliche Belastung dar, die alle Bereiche des täglichen Lebens beeinflusst und schwerwiegende Folgen für den Beschuldigten haben kann, auch wenn es schließlich zu einer Einstellung der Ermittlungen kommt. Der mit der neuen Frist unter Umständen verbundenen Gefahr der nicht lückenlosen Ermittlung des Sachverhalts wurde durch die Möglichkeit der richterlichen Fristverlängerung im Einzelfall, insbesondere bei komplexen und umfangreichen Sachverhalten, begegnet.

Zu Z 44 (§ 491)

Bezüglich der geplanten Einführung eines Mandatsverfahrens zur Beschleunigung des Strafverfahrens und Ressourcenschonung der Gerichte ergeben sich aus unserer Sicht erhebliche Bedenken. Zwar ist es zu begrüßen, dass das Mandatsverfahren nach § 32 Abs 4 JGG bei jugendlichen Angeklagten nicht zur Anwendung kommt, doch wurden die ebenso schutz- und anleitungsbedürftigen jungen Erwachsenen völlig außer Acht gelassen! Zahlreiche Gesetzesbestimmungen nehmen Rücksicht auf junge Erwachsene und sehen unter anderem Milderungsgründe, erhöhte Anleitungs- sowie Aufklärungspflichten vor. Birgt die Einführung eines Mandatsverfahrens in Strafsachen ohnehin schon eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes von betroffenen Personen, so gilt das wohl für junge Erwachsene umso mehr! Die vorgesehene Ausnahme von Jugendlichen von der Anwendbarkeit zeigt eindeutig, dass dem Gesetzgeber die mit der Einführung dieses Verfahrens verbundenen Gefahren durchaus bewusst sind. Für uns ist keine sachliche Rechtfertigung erkennbar, warum junge Erwachsene vor diesen Gefahren nicht ebenso zu schützen sind wie Jugendliche.

Der in der Erläuterung zum Entwurf vorgenommene Vergleich des notwendigen Inhalts einer nach diesem Verfahren erlassenen Strafverfügung mit dem eines gekürzten Urteils, lässt auch im Hinblick auf junge Erwachsene erhebliche Bedenken aufkommen. Die nach § 117a StPO genannte Voraussetzung für die Ausfertigung eines gekürzten Urteils, nämlich die vorherige mündliche Verkündung des Urteils in Anwesenheit beider Parteien, entfällt hier zur Gänze. Somit hat der/die RichterIn auch keine Möglichkeit, im Hinblick auf Alter und Reife des/der Beklagten entsprechend ausführliche Anleitungs- und Rechtsmittelbelehrungen zu erteilen. Auch birgt die vorgesehene Einspruchsfrist von 14 Tagen eine erhebliche Gefahr.

Insbesondere junge und im Umgang mit der Justiz unerfahrene Personen laufen Gefahr, dass ihr Einspruch als verspätet zurückgewiesen wird und die Strafverfügung in Rechtskraft erwächst. In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf wird auch auf die Möglichkeit der Anwendung des Mandatsverfahrens bei Untersuchungshäftlingen hingewiesen. Dies
sei für den Beschuldigten wegen der damit verbundenen schnelleren Entlassung aus der Haft von erheblichem Vorteil. Im gleichen Absatz wird erwähnt, dass die Ablegung eines Geständnisses zwar keine zwingende Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Mandatsverfahrens darstelle, eine geständige Verantwortung jedoch jedenfalls als wesentliches Beurteilungskriterium gelte.

Dieser Ansatz ist aus unserer Sicht äußerst bedenklich! De facto wird dem
Beschuldigten somit angeraten, ein Geständnis abzulegen, um schneller aus der U-Haft entlassen zu werden!